In lieu of an abstract, here is a brief excerpt of the content:

Reviewed by:
  • Innere Form. Wiener Moderne im Dialog mit Frankreich by Stefanie Arend
  • André Schwarz
Stefanie Arend, Innere Form. Wiener Moderne im Dialog mit Frankreich. Heidelberg: Universitätsverlag Winter, 2010. 373 S.

Hermann Bahr, der “Mann von übermorgen,” wie ihn Maximilian Harden einst nannte, steht im Mittelpunkt von Stefanie Arends Studie Innere Form. Wiener Moderne im Dialog mit Frankreich, die im Jahr 2009 als Habilitationsschrift an der Universität Erlangen-Nürnberg angenommen wurde und nun im Universitätsverlag Winter erschienen ist.

Ausgehend von Bahr, der ab November 1888 für ein Jahr in Paris lebte, untersucht sie die Berührungspunkte und Widersprüche im Verhältnis der Wiener Moderne zur französischen Literatur. Dieser Kulturkontakt zwischen Paris und Wien war, so die Kernthese Arends, keinesfalls unkritisch, sondern im Gegenteil, eine fruchtbare Auseinandersetzung Jung Wiens mit den Ideen und Inhalten der zeitgenössischen französischen Literatur. Die Autorin spricht dabei bildlich von Paris als einer “Reibungsfläche, die zunächst anzog [. . .] dann jedoch dazu aufforderte, sich [. . .] abzugrenzen” (10).

Arend stellt sich mit ihrer These gegen eine bislang in der Forschung einhellig geteilte Meinung: Seit Gottfried Wunbergs programmatischer Sammlung über “Jung Wien” galt die französische Literatur—vermittelt durch Hermann Bahr—als primäres Vorbild der Autoren der Wiener Moderne. Aus dieser zwar produktiven, aber letztendlich affirmativen Auseinandersetzung mit der Literatur Frankreichs konstituierte sich die junge literarische Bewegung als eine Gegenposition zum bislang dominierenden Realismus und Autoren wie Ferdinand von Saar oder Marie von Ebner-Eschenbach. Eine Sicht, die auch von Bahr selbst in seinen autobiografischen Schriften und von zeitgenössischen Feuilletonisten durchaus geteilt wurde. Die konkurrierende Berliner Moderne um Gerhart Hauptmann und dem bereits erwähnten Maximilian Harden diente in diesem Prozess als eine Art Stimulanz, gegenüber denen man sich abgrenzen wollte. Die Kräfteverhältnisse und die Beziehungen dieser “Triade” (13) Wien-Berlin-Paris bürstet Arend gegen den Strich und stellt die Frage, ob die konstatierten Machtverhältnisse zwischen jenen literarischen Feldern nicht anders verteilt sein könnten. Denn die Anregungen, die die Literatur Jung Wiens durch Frankreich erfuhr, konnten nur dann, so gibt Arend zu bedenken, auf fruchtbaren Boden fallen, wenn in der vermeintlich lediglich empfangenden Kultur ähnliche Debatten bereits virulent vorhanden waren und nur einer erneuten Anregung von außen bedurften, um wirklich Innovatives hervorzubringen. Eine kritische Auseinandersetzung [End Page 126] ist also unbedingt notwendig—und Arend findet in den von ihr gründlich untersuchten Texten von Bahr, Karl Kraus und Hugo von Hofmannsthal so manches, was ihren Befund untermauert und es ermöglicht, den von ihr als “verkrustet” (17) bezeichneten Topos der Forschung aufzubrechen. Denn die kritische Betrachtung der Pariser Kulturszene war ein durchaus gerne gebrauchtes Mittel zur Abgrenzung von der französischen Literatur, wie Arend detailliert anhand des Formdiskurses belegen kann.

Als markantes Beispiel und geschickten Einstieg in ihre Argumentation wählt sie Karl Kraus’ im Mai 1893 in der Zeitschrift Die Gesellschaft erschienenen Text “Zur Überwindung des Hermann Bahr.” Bahr ist neben Felix Salten einer der bevorzugten Gegner von Kraus, bereits in der ersten Nummer der Fackel finden sich Angriffe auf den Wiener Überwinder. Bahr wäre, so Kraus in der Gesellschaft, in Auftritt und Gestus ein “verdrehter, kreuznärrischer Französling, der halt so gerne in Paris geboren sein möchte” (Kraus 633) und wendet sich polemisch gegen die von Bahr selbst in seinen autobiografischen Schriften eingenommenen und von der zeitgenössischen Kritik gerne fortgeschriebenen Position als der entscheidende Mittler zwischen Paris und Wien. Arend seziert Kraus’ Text präzise und theoretisch überaus fundiert in Bezug auf die Rolle der Form und—davon ausgehend—auf den Stellenwert für die Positionierung der Wiener Moderne. Weiterhin untersucht sie Bahrs Sammlung “Zur Kritik der Moderne” und beschreibt das Konzept der sogenannten Inneren Form als tragendes Gerüst jener Essays. Arend zeigt, dass die Texte, die Bahr thematisiert, anhand des Diskurses über die Form eine Abgrenzung von der französischen Kultur beinhalten, etwa sein Essay “Puvis de Chavanne,” das sich mit recht deutlichen Worten gegen eine das klassische Formdenken überwindende Kunst stellt. Auch in diesem Text relativiert sich die Begeisterung von Bahr über Frankreich in erstaunlichem Maße, ebenso in seinem Essay über Edmond und Jules de Goncourts “Germinie Lacerteux.” Selbst bei Hugo von...

pdf

Share