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  • Hilde Spiel und der literarische Salon ed. by Ingrid Schramm und Michael Hansel
Ingrid Schramm und Michael Hansel, Hrsg., Hilde Spiel und der literarische Salon. Innsbruck: Studienverlag 2011. 175 S.

Der vorliegende Sammelband erschien zum 100. Geburtstag der Schriftstellerin Hilde Spiel, die Bernhard Fetz in seiner Einleitung auch als "Netzwerkerin" und "Übersetzerin in eine andere Kultur" vorstellt. 1936 nach London emigriert, gelang es Spiel auch in der neuen Sprache als Erzählerin, Essayistin [End Page 113] und Journalistin zu arbeiten. Bernhard Fetz, Leiter des Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek, wo Spiels Nachlass liegt, betont in seinem Vorwort auch ihre große Bedeutung als Kulturpolitikerin und Literaturkritikerin, auch nach ihrer Rückkehr nach Österreich. So erkannte sie schon sehr früh das Talent von Thomas Bernhard und setzte sich für die frühen Stücke Peter Turrinis ein. Sie wirkte, unter anderem in ihrer Funktion als Generalsekretärin und Vizepräsidentin des österreichischen P.E.N.-Clubs, auch ausgleichend zwischen unterschiedlichen Lagern innerhalb der österreichischen Literaturszene. Der Band ist laut Bernhard Fetz "als kritische Hommage und als dampfende Namensküche eines vergangenen, wiewohl nachwirkenden Literaturbetriebs" (9) konzipiert und beginnt mit einer Erinnerung von Julian Schutting an Spiels "Charme und Witz" (11), an ihren "Sinn für freiwillige Komik" (11), an ihre umfassende Bildung—unter anderem studierte sie bei Charlotte Bühler—und an ihren charmanten Stil. Schutting, der einige Sommer und Winter in ihrem Ferienhaus in St. Wolfgang, das zum Treffpunkt zahlreicher Persönlichkeiten wurde, verbringen durfte, erinnert an die erfolgreichen Romane, an die peniblen Übersetzungen aus dem Englischen, an ihre hervorragenden Feuilletons, an ihr Talent als Salonnière aber auch an ihr Unbehagen als "jüdische Schriftstellerin" wahrgenommen zu werden.

Deborah Holmes nähert sich Hilde Spiel in ihrem Beitrag über die Wiener Salonkultur ab der Jahrhundertwende an, denn Spiel hatte sich in Rezensionen mit Büchern über die Salonkultur beschäftigt, vor allem mit der Schwarzwald-Biografie von Alice Herdan-Zuckmayer. Als ehemalige Schwarzwaldschülerin war Spiel der so genannte Salon von Eugenie Schwarzwald bekannt, gehörte jedoch nie so ganz dazu. Ingrid Schramm, Mitarbeiterin des Österreichischen Literaturarchivs, schließt mit ihrem Text an die Thematik Salonkultur an und beschäftigt sich vor allem mit dem 1962 erschienenen Werk Spiels "Fanny von Arnstein oder Die Emanzipation." Fanny von Arnstein war es als aus Berlin stammende Pianistin mit jüdischen Wurzeln gelungen, den wichtigsten Salon in Wien einzurichten. Unter vielen anderen Persönlichkeiten war auch Mozart zu Gast. Spiel hat diese Begegnungen in ihrem Buch aufgearbeitet und laut Schramm damit einen wesentlichen Beitrag zur Mozartforschung geleis-tet. Sie mutmaßt jedoch, dass Spiel vor allem das "durch die ns -Propaganda beschädigte Bild der Juden" (36) korrigieren wollte.

Der Nachlassverwalter Hilde Spiels, Hans A. Neunzig, beschäftigt sich mit den literarischen Netzwerken Spiels, in dem er zunächst die Umstände [End Page 114] der jungen Emigrantin in London schildert, ihre Begegnungen mit alten Bekannten aus Wiener Kaffeehäusern und mit dem Londoner P.E.N.-Club—für sie und für viele andere EmigrantInnen ein "Hafen," wie sie schreibt. Die Mitarbeit an der Zeitschrift "Der Monat" war nicht nur aus finanziellen Gründen wichtig, sondern auch um ihren publizistischen Ruf zu stärken. Ihre journalistischen Arbeiten wie unter anderem für das "Neue Österreich" oder die "Süddeutsche Zeitung" machten sie bekannt. Mit ihren Übersetzungsarbeiten— unter anderem übertrug sie englische Theaterstücke ins Deutsche—leistete sie laut Neunzig wichtige sprachlich-geistige Vermittlungsarbeit zwischen der englischen und deutschen Kultur. Sie pflegte mit zahlreichen SchriftstellerInnen Kontakt, unter anderem mit Hermann Kesten, Hans Habe und Jeannie Ebner. Ihr Bruch mit dem P.E.N. konnte dem starken Netzwerk nichts anhaben. Esther Schneider-Handschin legt in ihrem Beitrag den Fokus auf das Leben von Hilde Spiel und ihren Mann Peter de Mendelssohn im Berlin der Nachkriegszeit, wo Spiel darauf hoffte, sich dem kulturellen Wiederaufb au widmen zu können. Auch hier nützte ihr die Begabung zum Netzwerken, sie verkehrte mit hohen Militärs der Besatzungsmächte und mit deutschen Intellektuellen und Künstlern. Schneider-Handschin verweist auf ein "Leben in Saus und Braus" (77) mitten in der Not und auf die Tatsache, dass Hilde Spiel, entgegen der Aussage im Exil, einem ehemaligen Nazi nicht einmal die Hand geben zu wollen, in manchen Fällen durchaus keine Hemmungen hatte, mit früheren Nazis zu verkehren, was besonders in Wien oftunumgänglich war.

Noch einmal wird im vorliegenden Band der Salon thematisiert, nämlich im Beitrag von Evelyne Polt-Heinzl, die über "Hilde Spiel—Ein Lebensentwurf zwischen Kaffeehaus und Salon" schreibt. Für Spiel hatte das Kaffeehaus einen wichtigen Platz im Leben. Ihr eigener so genannter Salon in St. Wolfgang ist Thema des Beitrages von Michael Hansel und Ingrid Schramm. Auch Peter Turrini, dessen Tagebucheintrag vom 27. Juli 1990 abgedruckt ist, war dort zu Gast. Hansel und Schramm lassen die Zeit des "Hauses am Bach," das das Ehepaar Spiel und Mendelsshohn seit 1955 besaß, mit den zahlreichen Gästen, unter ihnen Thomas Bernhard, Franz Theodor Csokor, Heimito von Doderer, Michael Heltau, Elfriede Ott, Hans Weigel und vielen anderen, wiederaufleben. Die zusammengetragenen Anekdoten und Einträge in das Gästebuch lassen ein Stück österreichischer Kulturgeschichte wiederauferstehen.

Christa Gürtler beschäftigt sich mit Spiels langjähriger Rolle als Korrespondentin der Salzburger Festspiele und mit dem Café Bazar in Salzburg, wo Hilde Spiel mit Ingeborg Bachmann zusammentraf. Gürtler beschreibt unter [End Page 115] anderem das ambivalente Verhältnis der beiden Frauen und die zahlreichen Treffen mit Gottfried von Einem und Thomas Bernhard. Ulrich Weinzierl schreibt als letzter Beiträger von eigenen Erinnerungen an Hilde Spiel, der er 1984 als österreichischer Kulturkorrespondent der faz nachfolgte.

Insgesamt deckt der Band zahlreiche, wenn sicher auch nicht alle Aspekte der Schriftstellerin ab, er liest sich jedoch auch als Einblick in ein fruchtbares literarisches Netzwerk einer vergangenen Literaturgeschichte. Ein Namensregister hätte diesen Band weiter aufgewertet, enthielte er doch zahlreiche Persönlichkeiten der österreichischen Kulturgeschichte.

Susanne Blumesberger
University of Vienna

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