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  • Aufklärung: Das Europäische Projekt by Manfred Geier
  • Monika Nenon
Aufklärung: Das Europäische Projekt. By Manfred Geier. Reinbek: Rowohlt, 2012. Cloth €24.95. Pp. 415. ISBN 978-3498025182.

Im Gegensatz zu „großen Erzählungen,“ die einen allumfassenden Überblick über die zentralen Entwicklungen der Aufklärung anstreben, konzentriert sich Manfred Geier auf sieben exemplarische „Lebens- und Werkgeschichten,“ anhand deren Analyse die grundlegenden Ideen, die die Aufklärung als „europäisches Projekt mit universellem Anspruch“ (10) ausmachen, verdeutlicht werden sollen. Im Mittelpunkt seiner Untersuchung stehen John Locke, Shaftesbury, die französischen Philosophen, Moses Mendelssohn, Immanuel Kant, Olympe de Gouges und Wilhelm von Humboldt, wobei John Locke und Immanuel Kant eine herausgehobene Stellung einnehmen, denn für Locke wird das Selbstdenken, das Kant zum Programm der Aufklärung erheben wird, bereits zum „Schlüsselbegriff,“ und beide haben mit ihrem Werk große Wirkung auf das Denken Anderer. Dabei versteht Geier Aufklärung nicht als eine etwa hundertjährige, abgeschlossene historische Epoche, deren Anfang und Ende von zwei großen Revolutionen, nämlich der „Glorious Revolution“ in England und der Französischen Revolution, markiert wird, sondern als einen Prozess, in dem zentrale Ideen entwickelt wurden, deren Einlösung immer ein Gebot der Zeit bleiben wird und die angesichts zeitgenössischer Konflikte nichts an Aktualität verloren haben.

An den Anfang seiner Lebens- und Werkbeschreibungen stellt Manfred Geier John Locke, dessen breit rezipiertes Werk Themen wie Selbstdenken, Religionsfreiheit, Erkenntnisvermögen, Erziehung und staatliche Legitimität behandelt, die für die europäische Aufklärung von grundlegender Bedeutung waren. Zwar sei Locke noch nicht zum Gedanken allgemeiner Menschenrechte vorgedrungen, doch habe er mit der Dreiheit von Leben, Freiheit und Eigentum „die Grundgestalt der Menschenrechte entworfen, wie sie im Prinzip heute noch bestehen“ (54).

Zu einer von Lockes Lebensaufgaben gehörte, wie Geier ausführlich und informationsreich beschreibt, die Erziehung von Anthony Ashley Cooper, Third Earl of Shaftesbury, die auf die Werte von Höflichkeit und kritischem Verstandesgebrauch im geselligen Umgang ausgerichtet war. Shaftesbury, der Lockes Schriften eingehend rezipiert, sollte zum eigenständigen Denker werden, indem er in seiner zentralen Schrift An Inquiry concerning Virtue, or Merit nach der Fundierung einer Moral sucht und sie in einem moralischen Sinn (natural moral sense) findet, der über den Sinnen steht. Auch für ihn wird Selbstdenken entscheidend, doch in der Variante [End Page 176] Shaftesburys vollzieht sich dieser Prozess mit Humor. Lachend die Wahrheit sagen und die strittigen Themen dem „Test of Ridicule“ unterziehen werde „in einer Kultur der geselligen Freundschaft und geistigen Freiheit“ (90) zum Programm erhoben. Die zunächst in England entwickelten Konzepte der Aufklärung werden nun in Frankreich rezipiert, wobei Voltaire entscheidend wird, der in seinem Werk Letters Concerning the English Nation die Öffentlichkeit damit bekannt macht. Die französischen Philosophen nehmen nach Geier die englischen Anregungen auf, aber radikalisieren sie mit ihrer Neigung zum Materialismus und Atheismus: „Sie versuchten die Welt ohne übersinnliche Transzendenz und religiöse Sinngebung zu begreifen“ (94). Einfühlsam und kenntnisreich berichtet Geier von den Lebensumständen und den intellektuellen Debatten der französischen Philosophen wie Diderot, d’Alembert, Rousseau sowie von den Materialisten La Mettrie, d’Holbach und Helvétius, die sich in den Salons der Hauptstadt entfalteten und in ihren Werken theoretischen Niederschlag fanden. Sehr deutlich kommt in Geiers Darstellung zum Ausdruck, welche Herausforderung dieses Denken für die geistliche und weltliche Macht darstellte und wie hoch gerade auch die persönlichen Kosten (Zensur, Verfolgung, Gefängnis oder Exil) waren, die das radikale Selbstdenken mit sich brachte.

Im Anschluss daran nimmt Geier Moses Mendelssohn in den Blick, der für ihn der Begründer der Haskala ist. Geier macht deutlich, welche Bedeutung das Studium von Moses Ben Maimons More Newuchim neben Leibniz, Christian Wolff und vor allem den Schriften Lockes und Shaftesburys für Mendelssohn hatte, während die französische Aufklärung von ihm nicht mit Zustimmung rezipiert wird. Durch die Zusammenarbeit mit Lessing und Nicolai werde er durch zahlreiche gemeinsame Publikationen „einer breiten Öffentlichkeit als geistreicher, umfassend gebildeter und elegant schreibender Publizist“ (187) bekannt. Unter dem Eindruck von Platon und Sokrates verfasst er seine Schrift Phaedon, oder über die Unsterblichkeit der Seele in drey Gesprächen—ein „Dokument vernünftiger...

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