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  • Multikulturalismus – Interkulturalität – Kosmopolitismus: Die kulturelle Andersmachung von Migrant/-innen in deutschen Diskurspraktiken
  • Safiye Yildiz (bio)

Der 11. September, als konnotativer Signifikant der normativ geprägten westlichen Narrative, markiert im bundesdeutschen Kontext jene Schnittstelle, an der Migrant/-innen durch Rückgriff auf kulturelle Deutungsmuster als Fremde, d. h. als eine nicht angepasste, nicht integrierte, nunmehr kollektiv als Muslime gefasste Gruppe in den Medien, den politischen, aber auch wissenschaftlichen Debatten, rekonfiguriert werden. Die Subjektpositionen in der politischen Debatte und der bundesdeutschen Migrationsliteratur sind jene nationalsprachlich-diskursiven Verknüpfungspunkte, mit denen sie als kulturell Fremde (“Gastarbeiter,” “Ausländer,” “Migranten,” nunmehr “Muslime”) konstruiert und gesellschaftlich platziert wurden und werden. Die nationalen Vorstellungen von Gemeinschaft und Gesellschaft und die Bedeutung der Vielfalt im nationalen Kontext, denen binäre Diskursstrukturen und die diskursive Strategie der Wiederholung und Perpetuierung der Andersartigkeit der Migrant/-innen und ihrer Nachkommen zugrunde liegen, manifestieren die Andersmachung der Migrant/-innen, die sich in inter- und multikulturellen Diskursen niederschlägt. Die Auseinandersetzung mit eben dieser Verschränkung der multikulturellen, interkulturellen und kosmopolitischen Diskurse im Hinblick auf die Anders- und Fremdmachung der Bevölkerungsgruppen nach ethnisch-kulturellen Gesichtspunkten bildet den Kern dieses Artikels. Er vertritt die These, dass Prozesse des Fremdmachens der längst zur deutschen Geschichte, Gesellschaft und Kultur gehörenden Migrant/-innen in der diskursiven Verknüpfung von kultureller Vielfalt und binären Logiken angesiedelt sind. Dichotomische Vorstellungen und die Idee der Pluralität werden so aufeinander bezogen, dass einerseits Toleranz gegenüber kulturellen Differenzen gefordert wird, andererseits jedoch die Migrant/-innen durch kollektivierende Zuschreibungen von Differenzen und die reale Nicht-Anerkennung als Bürger der deutschen Gesellschaft Ausgrenzung erfahren. In diesem Kontext dienen die genannten Diskurse der ungehemmten Vergewisserung des Eigenen sowie der Konstituierung westlicher Erzählungen über den Fremden unter Rückgriff auf das Muster kultureller Vielfalt unter [End Page 379] nationalem Vorzeichen. Vor diesem Hintergrund gehen Teile dieses Artikels auf eine umfangreiche Studie zum Thema “Interkulturelle Erziehung: Subjektivierung und Macht in den Ordnungen des nationalen Diskurses” zurück (Yıldız). Die kosmopolitischen Ansätze gewinnen hierbei im Hinblick auf die Verfestigung dichotomischer Denkstrukturen und diskursiver Naturalisierung der kulturellen Differenzen an Bedeutung. Denn auch kosmopolitische Stand-punkte, die das Recht auf Differenz für Fremde im europäischen Raum mit universalistisch-politischem Gestus verkünden, kontinuieren ein Paradox, indem sie dem nationalen Diskurs verhaftet bleiben. Die vermeintliche Andersartigkeit, die Differenz der Migrant/-innen und ihre Abspaltung vom “Wir” wird in liberalen kosmopolitischen Kontexten fortgeschrieben. In den für diesen Beitrag relevanten unterschiedlichen Diskursen wird das systematisierte, historisch-aktuelle Wissen des Nationalen über den Fremden und den Eigenen reproduziert und aktualisiert (Räthzel, Gegenbilder). Durch ihre binären Ordnungen und die Re-(Produktion) von Differenzen bewirken sie “gesellschaftliche Teilungspraktiken” (Bublitz, Foucaults Archäologie 169). Somit stellen diese Wissensordnungen über den Eigenen und den Fremden die Applikationsvorgaben für individuelle und kollektive Distinktionsprozesse dar, die durch Rezeption, Anwendung von Wissen, Habitualisierung und Re-Aktualisierung in Vergesellschaftungs-, Interaktions-, Kommunikationsund Handlungsprozesse einfließen, die Subjektivierung der Individuen zu Fremden und Eigenen prozedieren und eine soziale Wirklichkeit schaffen (Bublitz, “Diskurs und Habitus” 1; Jäger 116; Keller 7). Daher werden hier die Personen- und Gruppenbezeichnungen “Fremde,” “Migranten,” “Menschen mit Migrationshintergrund” und äquivalente Begriffsbestimmungen in Anlehnung an Butler als hegemoniale Differenzsetzungskategorien verstanden, die sich aus diskursiven Konventionen herleiten und nicht das Selbstverständnis und die Selbstpositionierungen dieser Gruppen an sich widerspiegeln (Butler, “Für ein sorgfältiges Lesen” 124). Begriffe, die auf die Konstruktion der Migrant/-innen als Kollektive verweisen, werden hier zum Zweck einer besseren Lesbarkeit nicht in Anführungszeichen gesetzt. Der Blick des Artikels richtet sich auf die von einer dominanten Position heraus erfolgte diskursive Abspaltung und Fremd-Machung der Migrant/-innen, die in integrativ-humanitären Diskursen performativ erzeugt werden.

Im Folgenden wird zunächst auf die Bedeutung des Begriffs Othering und die den genannten Diskursen innewohnende aporetisch-widersprüchliche Konstellation der Gleichzeitigkeit von Toleranz und Ausschluss eingegangen, die eine Andersmachung der Migrant/-innen zur Folge hat. Auch wenn es bisher im bundesdeutschen Migrationskontext an einer empirisch-systematischen Erforschung der diskursiv erzeugten Andersmachungsprozesse der in Deutschland lebenden Migrant/-innen insbesondere im interkulturellen Kontext mangelt, findet inzwischen in Anlehnung an den von Gayatri Chakravorty Spivak geprägten Begriff des Othering zunehmend eine...

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