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  • Einführung in das Werk Georg Büchners
  • Henri Poschmann
Einführung in das Werk Georg Büchners. Von Arnd Beise. Darmstadt: WBG, 2010. 144 Seiten + 11 s /w Abbildungen. €14,90.

Arnd Beise (Jg. 1964), von dem zuvor namentlich eine Einführung in das Werk von Peter Weiss Beachtung fand, gehört seit seiner Promotion an der Philipps-Universität Marburg 1998 zum Mitarbeiterstab der Historisch-kritischen Ausgabe der Sämtlichen Werke und Schriften Georg Büchners (MBA) an der dortigen Forschungsstelle Georg Büchner. Aus diesem Arbeitszusammenhang entstand auch, wie schon das Reclam-Bändchen Erläuterungen und Dokumente zu Leonce und Lena von Beise zusammen mit Gerald Funk (2005), das vorliegende zuletzt erschienene Buch des Autors.

Lehranleitungen und diverse “Lektürehilfen” der Nachwendezeit zu Büchner [End Page 440] pflegen sich mehrheitlich im Trend der wissenschaftlichen Diskussion, nicht zuletzt auch beeinflusst vom kulturpolitischen Klima, bemüht abzusetzen von Bewertungs-standards der Forschung vor der Jahrhundertwende, die sich aus dem unverbrauchten innovativen Potential der Werke des “zum Inbegriff der Moderne gewordenen Dichter-revolutionärs” (Goltschnigg III, 13) herleiten. Gegenläufig zur weltweit fortgesetzt boomenden Rezeption kommt es indessen offenkundig dem neoliberal kapitalistischen Zeitgeist entgegen, die in den 1960er bis späten 80er Jahren kulminierende Hochschätzung des Dichters teils durch neutralisierende Abschätzungen seiner herausfordernden Sonderstellung, teils durch Anzweiflungen seiner Integrität bis hin zur Denunziation als geistigen Antreiber des Terrorismus zu revidieren. Die MBA selbst, die ihre be-vorzugte Förderung erst der spät erlangten Hochschätzung Büchners verdankt, gibt deren Untergrabung mit dem Erscheinen der Bände zunehmend Raum dadurch, dass die Herausgeber die Tragfähigkeit der Textgrundlagen mehrfach der indizierten Autorintention zuwider als zweifelhaft darstellen. Im Falle von Woyzeck stellt die auf 14 (Doppel)-Bände voraus veranschlagte Ausgabe daraufhin allein das Material der Einzelbestandteile des Komplexes der Teilhandschriften jeweils in mehrfacher Präsen-tationsform bereit, aber keine daraus editorisch hergestellte integrierte Werkfassung. Der nachhaltig folgenreichste, sozialpolitisch hinsichtlich des Menschenbildes und der Menschenrechtsrealität brisanteste Dramentext der deutschen Literatur, der den Globalisierungsprozess begleitet, wird damit praktisch als Text-Steinbruch beliebiger Verwendung ohne philologischen Geltungsanspruch überlassen.

Im Kielwasser der Marburger Edition folgt Arnd Beise mit seiner Einführungs-schrift entschieden dem gewendeten Trend. Er tut dies insgesamt vergleichsweise moderat zwischen Inanspruchnahme der “eminenten Bedeutung” des Werkes (16) und Skepsis hinsichtlich der Kohärenz und Sinnhaltigkeit der Texte aufgrund der hoch veranschlagten Fragmenthaftigkeit, aber auch Irritation gegenüber Techniken wie Montagen mit Zitaten aus Dokumenten. So verweist er auf eine Neigung Büchners geradezu zu einem “Zitatismus” (43) und sprachlichen Radikalismen.

Den fünf Kapiteln des Buchs vorangestellt sind Zitate je gegensätzlicher Charakterisierungen Büchners von Wilhelm Schulz (von 1851) und Carl Vogt (von 1896) sowie von den Schriftstellern Wilhelm Herzog (von 1910) und Alfred Döblin (von 1921). Der zwiespältige Eindruck, den sie erwecken, wird im Nachfolgenden vertieft, zuerst im Eingangskapitel unter der Überschrift “Unzeitgemäßer Klassiker,” das “Wandlungen des Büchner-Bildes im Spiegel der Forschungsgeschichte” von 1835 (Gutzkow) bis 2009 (Neuhuber) skizziert. Darin ordnet Beise die Geschichte der Verdrängung Büchners “Mythen einer sich selbst als kritisch verstehenden Literaturwis-senschaft” zu (9). In Wirklichkeit, so behauptet er, wäre Büchner “seit seinem ersten Auftreten mit seinen dichterischen Werken präsent und anerkannt” gewesen (10), seit den 1840er Jahren sogar “auf dem besten Weg zum Klassiker” (ebenda). Wäre dem so, hätte Hermann Hettner (Das moderne Drama. Ästhetische Untersuchungen, 1852) bei seinem Spähen nach Hoffnungsträgern für eine Erneuerung der vom spekulativen Idealismus in die Sackgasse des epigonalen Klassizismus geführten Dramatik sein Au-genmerk sicher eher auf Büchner gelenkt statt auf Gutzkow und die Versuche anderer Jungdeutscher in den 40er Jahren, auf dem Theater ihr Glück zu machen. Zudem hätte gerade Jan Christoph Hauschild, dessen Legendenzerstörer-Attitüde Beise sich zu ei-gen macht, dann kaum eingeräumt, dass Büchners Werk “nach 1850 in Vergessenheit zu geraten drohte” (http://www.echo-online.de13.1.2004). [End Page 441]

Den knappen biografischen Abriss (II) “Ein kurzes Leben” beschweren Ne-bensächlichkeiten zu Kindheit und Schulzeit, während relevante Konfliktanlässe am Gymnasium und später im Dilemma zwischen der...

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