In lieu of an abstract, here is a brief excerpt of the content:

Reviewed by:
  • Das Trauerspiel-Buch. Der Souverän-das Trauerspiel-Konstellationen-Ruinen
  • Rolf J. Goebel
Das Trauerspiel-Buch. Der Souverän-das Trauerspiel-Konstellationen-Ruinen. Von Bettine Menke. Bielefeld: transcript, 2010. 280 Seiten. €25,80.

Zusammen mit den frühen sprachphilosophischen Aufsätzen, dem Passagen-Werk und den späten geschichtsphilosophischen Thesen gehört Benjamins Ursprung des deutschen Trauerspiels (1928), Anlass seiner gescheiterten Habilitation und Universitätslaufbahn, zu denjenigen seiner Texte, deren intellektueller Schockcharakter, radikale Prämissen und unnachgiebige Argumentation bis heute nichts an Anziehungskraft [End Page 681] verloren haben. Sie zwingen zur stets erneuten Wiederbeschäftigung aus anderen Perspektiven, in anderen Kontexten und mit anderen Fragen, die freilich nie das Sinn-Potential der Texte auszuschöpfen scheinen, sondern immer nur ihre eigene Partialität und ihr eigenes interpretatives Unvermögen selbstreflexiv im Horizont von Benjamins uneinholbaren Ansprüchen an die Nachwelt eingestehen müssen. Darin aber liegt nichts Defätistisches, sondern die immer neue Aufforderung, sich auf die Texte mit jener Treue zum Detail und jener präzisen Lesearbeit einzulassen, die Benjamin selber unaufhörlich in die Bibliotheken und Archive trieb.

Etwas von dieser akribischen Bereitwilligkeit zeichnet auch Bettine Menkes Studie zum Trauerspiel-Buch aus. Unter vier von Benjamin selbst vorgegebenen thematischen Gesichtspunkten-Trauerspiel und Tragödie; Souverän, Märtyrer, Intrigant; Trauer und Melancholie; Allegorie-legt die Verfasserin eine Analyse vor, die bewusst auf einen erneuten Fokus auf die schon oft besprochene "Erkenntniskritische Vorrede" verzichtet. Auch wenn Menke durchaus einige Konzepte der Vorrede berücksichtigt, bin ich nicht sicher, ob diese Vorentscheidung wirklich dazu beiträgt, die von ihr zu Recht beklagte Kluft zwischen (primär auf die Vorrede gerichteter) Benjamin-Philologie und der (an dieser Vorrede weniger interessierten) Barockforschung zu verringern. Auf der anderen Seite aber zwingt die Zurückstellung der höchst abstrakt philosophischen Vorrede, das zu machen, was Menkes Buch hervorragend leistet: weniger eine neue und originale Interpretation zu geben, als vielmehr durch erhellenden Kommentar, kondensierende Paraphrase und sorgfältige Nachbuchstabierung die "material[en]" Gesichtspunkte (11), also Benjamins historisch-kritische Analyse des barocken Trauerspiels, zu erhellen. Sie befragt Menke auf die oft abgrundtief eingelagerten Sinnaussagen, Eigenzitationen und kryptischen Bezüge zu geistesgeschichtlichen Traditionen. Wohl selten ist für das Trauerspiel-Buch eine so geduldige, manchmal sogar dieselbe Benjamin-Formulierung wiederholt aufrufende Hermeneutik des text-immanenten Einlassens und genauen Nachspürens praktiziert worden wie hier. Die umfangreiche wissenschaftliche Literatur-darunter, begrüßenswert, auch die nicht-deutsche-ist ausführlich, manchmal überwältigend, eingearbeitet worden, so dass besonders die zahlreichen Anmerkungen und das umfangreiche Literaturverzeichnis eine Art Forschungsbericht zum Trauerspiel-Buch ergeben. Diese Methode nützt besonders denjenigen Lesern, die nicht über eingängiges Spezialwissen zu Benjamin verfügen, aber vielleicht auch solchen Fachwissenschaftlern, die an einer summarischen Wiederholungslektüre von Benjamins Buch interessiert sind.

In diesem fast final wirkenden Duktus liegt die Stärke, aber auch die Grenze dieser Studie. Schwer ist vorstellbar, wie man danach noch mit dem Trauerspiel-Buch umgehen könnte, es sei denn, man überschreitet gezielt den ursprünglichen Horizont des Werkes. Sicherlich zeichnet Menkes Vorgehen das Trauerspiel-Buch "als wichtiges Werk der Barockforschung" aus, weniger klar ist allerdings, wie dergestalt die immer neue "Reichweite seiner theoretischen Zugriffe und Begriffe (je wieder) zu ermessen" sei (7). Menke weist durchaus aufschlussreiche Bezüge zu späteren und heutigen Denkern auf, etwa zu Georges Bataille, Antonin Artaud, Carl Schmitt und Giorgio Agamben. Auch deutet sie an, dass die "nachträgliche Perspektive" Benjamins Buch als "vorgreifende Kritik an der deutschen Klassik," als Konkurrenz zur Romantik und als Kontaktaufnahme mit "post-dramatisch[en]" Formen des "jüngsten Theaters" erscheinen lässt (19). Die anvisierte "Arbeit mit dem Trauerspielbuch" (21) würde [End Page 682] aber an Aktualitätspotential noch mehr gewinnen, wenn Benjamins Text weitaus detaillierter in bestimmte heutige Kulturprobleme eingeschrieben würde. Ich denke z. B. an die Möglichkeit, unsere gegenwärtige Obsession mit fragmentarischen Bildern und Gedankensplittern, performativer Selbstdarstellung, ich-obsessiver Subjektivität und anderen Phänomenen der digitalen Medienwelt hinsichtlich ihrer uneingestandenen Melancholie, Erfahrung von Sinn-Leere und hermeneutischen Willkür im Horizont dessen zu kritisieren, was Benjamin zu diesen Themen schon am barocken Trauerspiel abgelesen hat. Derartige und andere Fragestellungen könnten sich als legitime Aktualisierung verstehen, die Benjamins Buch nicht...

pdf

Share