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  • Raum und Bewegung in der Literatur. Die Literaturwissenschaften und der Spatial Turn
  • Ulrike Landfester
Raum und Bewegung in der Literatur. Die Literaturwissenschaften und der Spatial Turn. Herausgegeben von Wolfgang Hallet und Birgit Neumann. Bielefeld: transcript, 2009. 414 Seiten. €29,80.

Sammelbände herzustellen, insbesondere zu so komplexen Themen wie dem hier gewählten, gehört bekanntlich zu den schwierigeren Übungen wissenschaftlichen Tuns—zumindest dann, wenn das Resultat mehr sein soll als die Summe seiner Teile. Letzteres zu gewährleisten, ist heute umso wichtiger, als der vor allem auf Nachwuchswissenschaftlern lastende Profi lierungs-und damit Publikationsdruck in den Geisteswissenschaften in den vergangenen zehn Jahren zu einer enormen Überproduktion von qualitativ eher fragwürdigen Sammelveröffentlichungen geführt hat. Es ist daher mit Bedauern festzustellen, dass, obwohl die Herausgeber des vorliegenden Bandes sich, wie an der sorgfältig gearbeiteten Einführung zu erkennen ist, offenkundig große Mühe gegeben haben, das Ergebnis nicht ganz befriedigend ist—obwohl einige wirklich brillante Beiträge den Band sehr lesenswert machen.

Die Schwierigkeiten des Bandes beginnen an einer gewissen Spannung zwischen Titel und Inhalt. Der Titel verspricht eine Auseinandersetzung mit Raum und Bewegung in "der Literatur" und "den Literaturwissenschaften"; von den achtzehn Beiträgen des Bandes aber sind zwölf entweder rein oder doch überwiegend an angelsächsischen Texten interessiert, so dass "die Literatur" und "die Literaturwissenschaften" aus Sicht der Herausgeber offenbar ganz selbstverständlich von Anglistik und [End Page 654] Amerikanistik definiert werden—und das, obwohl mit den Ausführungen von Ottmar Ette und Uwe Wirth zwei der inspirierendsten Beiträge des Bandes mit deutsch-bzw. spanisch-und französischsprachiger Literatur befasst sind. Ein weiteres Problem ist konzeptioneller Art, ist doch die Gruppierung der einzelnen Beiträge nicht überzeugend. Teil I, "Raumkonzepte (in) der Literaturwissenschaft," versammelt theoretische Grundlagenbeiträge, von denen allerdings nur zwei als solche wirklich erkennbar sind, nämlich Ansgar Nünnings enzyklopädistisch gelehrsame, wenn auch ungeordnet, additiv und relativ thesenarm gehaltene Überblicksdarstellung von "Formen und Funktionen literarischer Raumdarstellung" (33) und Michael C. Franks sehr kluge und gut argumentierte Thesen zu Jurij Lotman und Michail Bachtin. Die inhaltlichen Beiträge von Hallet zum zeitgenössischen (englischsprachigen) Roman und Neumann zur (englischsprachigen) kolonialen und postkolonialen Literatur dagegen erreichen beide nicht die Metaebene einer theoretischen Thesenbildung, die eigentlich für diesen Teil zu erwarten gewesen wäre, wiewohl sie ebenfalls beide solide literaturwissenschaftliche Untersuchungen bilden. Wirth und Ette dagegen markieren einen eigenen hochinteressanten Schwerpunkt, zu dessen struktureller Nutzung sie mit anderen ähnlichen Beiträgen hätten konfiguriert werden können: Wie Ette in einer bestechend scharfsinnigen Skizze der Tropen als einer transarealen Zone und Wirth in einer ebensolchen des Paratextes im Buch-Raum zeigen können, und wie dann vor allem Doris Bachmann-Medick insbesondere zur Figur des "Ab-Sturzes" (257), René Dietrich anhand von Frank Bidarts lyrischem Werk The War of Waslav Nijinsky und Melina Gehring zum Labyrinth als Bachtin'schem Chronotopos mit wundervoll prägnanten und spannenden Fallstudien ergänzen, wird die Kategorie des Raums für die Literaturwissenschaften vor allem dort interessant, wo sie durch Brüche, Risse, Stürze oder andere Störungen irritiert und dadurch erst wirklich greifbar wird.

Statt sich an eine von solchen Kriterien—etwa der Gegenüberstellung von Bruch und Affirmation von Raumkontinuen und ihrer poetologischen Bedeutung für die entsprechenden Text-Räume—inspirierte Gliederung zu wagen, wie sie von derartigen Beiträgen eigentlich nahegelegt worden wäre, haben die Herausgeber die drei folgenden Teile ihres Bandes jedoch im weitesten Sinne inhaltlich gruppiert: "Kulturelle Wissensräume (in) der Literatur," "Raumerfahrungen und Subjektverortungen" und "Gattungsspezifische Perspektiven auf Raum und Bewegung" lauten die entsprechenden Zwischentitel. Sogar an deren ohnehin geringen Spezifizitätswert gemessen aber wirkt das unter ihnen Versammelte schon auf einen ersten kursorischen Blick auf das Inhaltsverzeichnis und dann mehr noch durch die Lektüre der Beiträge selbst sehr kontraintuitiv plaziert, zumal die drei Selektionsparameter faktisch in allen Beiträgen thematisiert werden, während andere—etwa die Poeto-Logik des Übergangsraums, die tatsächlich nur von einigen Beiträgen angedacht wird—gar nicht realisiert werden. Damit verdoppelt der Band einen konzeptionellen Mangel, der auch in einigen der Beiträge mehr oder minder deutlich sichtbar wird: Auch dort, wo die Verfasser an den...

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