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  • Die Mimesis und ihre Künste
  • Monika Schmitz-Emans
Die Mimesis und ihre Künste. Herausgegeben von Gertrud Koch, Martin Vöhler und Christiane Voss. München: Fink, 2010. 262 Seiten + 26 s / w Abbildungen. €34,90.

Mit dem Stichwort "Mimesis" ist eines der vorrangigen, wenn nicht das zentrale Thema der abendländischen Ästhetik und Poetik aufgerufen. Dies bringt der vorliegende Band, basierend auf den Beiträgen zu einer Ringvorlesung an der FU Berlin von 2008, so nachdrücklich wie aspektreich in Erinnerung. Nicht allein die von der Antike bis in die Gegenwart reichende Kontinuität der Reflexionen über "Mimesis," über die Inklination des Menschen zum mimetischen Verhalten sowie über verschiedene mimetische Praktiken wird hier durch Vertreter verschiedener Disziplinen beleuchtet, sondern auch die Verknüpfungen des Mimesis-Konzepts mit erkenntnistheoretischen, ethischen, anthropologischen, medien-und gattungstheoretischen Fragestellungen. Deutlich wird zudem das Spektrum der divergenten, oft auch konkurrierenden Auslegungsoptionen von "Mimesis."

Die Aristotelische Poetik erörtert Spielformen der Mimesis systematisch auf eine Weise, die für verschiedenste Wissensdiskurse und Darstellungtheorien anschlussfähig ist; als eine Schrift, die "Mimesis" zum poetologischen und anthropologischen Kernbegriff macht, wird sie Epochen übergreifend zum prägenden Bezugstext des Nachdenkens über Mimesis. Die Beiträge des Sammelbandes stellen diese impulsgebenden Wirkungen teilweise aus historiographischer Perspektive dar, indem sie an historische Auslegungen, Modifikationen und Transformationen der Aristotelischen Mimesis-Konzeption erinnern (so z. B. Andreas Kablitz: "Die Unvermeidlichkeit der Natur. Das aristotelische Konzept der Mimesis im Wandel der Zeiten," 189–211); teilweise stehen sie aber auch selbst im Zeichen des Versuchs, aristotelische Differenzierungen des Mimetischen für den eigenen Gegenstandsbereich fruchtbar zu machen und sich mithin in den Spuren des antiken Bezugstextes zu bewegen, beispielsweise Cornelia Müllers "Mimesis und Gestik" (149–187); Ausgangsthese der Sprachwissenschaftlerin ist, dass die Aristotelische Mimesislehre einen besonders geeigneten Bezugsrahmen für eine "Systematisierung der Grundlagen gestischer Mimesis" bildet, wie sie zu den Gegenständen aktueller sprachwissenschaftlich-kommunikationstheoretischer Forschung gehört (151).

Deutlich wird bei der Lektüre der Abhandlungen allerdings auch, dass es nicht möglich ist, trennscharf zwischen einer 'historiographischen' und einer die aristotelischen Theoreme aufgreifenden und weiterführenden Haltung—gleichsam zwischen zwei verschiedenen Formen des mimetischen Verhaltens gegenüber Aristoteles—zu unterscheiden. [End Page 652] So mündet Kablitz' Übersicht über die facettenreiche Geschichte der Auslegungen von "Mimesis" über die Renaissance, den Klassizismus und die Aufklärung bis heute in der (gleichsam anti-dekonstruktivistisch optierenden) These, den poetisch gestalteten Möglichkeiten korrespondiere stets ein Wirkliches als konstitutive Bezugsgröße (211). Einen anderen Akzent setzt dagegen Gunter Gebauer, der in seinen Ausführungen über "Mimesis und Gewalt bei Nietzsche" (215–229) schon einleitend an die "Überkreuzung von Welteigenschaften und Subjekterfahrung" und an die Unerkennbarkeit der 'wirklichen' Beschaffenheit der Welt erinnert, bevor er zwischen "kalten" und "heißen" Beziehungen des Menschen zur Welt als zwischen zwei unterschiedlichen Voraussetzungen mimetischen Verhaltens unterscheidet; er folgt dabei den Spuren Nietzsches und seiner Differenzierung zwischen Apollinischem und Dionysischem.

Unter thematischen Aspekten bilden die Beiträge fünf Gruppen, was auch die Strukturierung des Bandes widerspiegelt: Um "Verkörperung und Theatralität der Mimesis" (Teil I) geht es mit den Beiträgen von Bernd Seidensticker, Adrian Stähli und Hans-Thies Lehmann. Seidensticker verdeutlicht die enge Beziehung der Aristotelischen Mimesis-Lehre zu Konzeption und historischer Praxis der griechischen Tragödie (15–41), deren Inszenierungskontexte und performative Bedingungen dabei detailreich erklärt und illustriert werden. Stähli untersucht das Bedeutungsspektrum von Mimesis zwischen Aufführung und Darstellung mit Bezug auf verschiedene mimetische Praktiken und auf Objekte aus den performativen und den bildenden Künsten (43–67). Lehmanns Überlegungen gelten unterschiedlichen Semantiken des Mimetischen in Anschluss an, aber auch in Absetzung von antiken Positionen; so diagnostiziert er ein "Verschieben des Orts der Mimesis" im postdramatischen Theater.

Die affektive Dimension von Mimesis steht im Zentrum der Abhandlungen von Joachim Ringleben und Íngrid Vendrell Ferran (Teil II: "Affektive Mimesis zwischen Agape und Genuss"). In welcher Weise die christliche Theologie des Mittelalters Momente des antiken Mimesisdiskurses aufgreift und daraus das Konzept einer Imitatio Christi als einer christlichen "Kunst der Liebe" entwickelt, erläutert Ringleben (77–90), dessen Beitrag damit exemplarisch verdeutlicht, dass die Rezeption des Mimesis-Begriffs weit über ästhetisch-poetologische Kontexte hinausführt. Vendrell Ferran setzt sich mit unterschiedlichen Konzepten von...

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