Das Bild des Helden im DDR-Roman

Das Bild des Helden im DDR-Roman Hans Ternes Lawrence University Diese Arbeit ist ein vorläufiger Versuch, eine synchronische Übersicht über die wichtigsten Heldentypen im DDR-Roman zu schaffen, und diese Typen anhand einer diachronischen Analyse als Ausdruck gewisser gesellschaftlich-sozialer Zustände zu sehen. Es muß vorausgeschickt werden, daß die Liste der Kategorien keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Ausgelassen sind die Helden der Leichteren Unterhaltungslektüre und des utopischen Romans (science fiction), die Helden des modernen Schelmenromans und die emanzipierten Heldinnen einer erstarkten Frauenliteratur. Die Literatur, auf der meine Liste basiert, setzt sich bewußt mit der politisch-sozialen Wirklichkeit der DDR auseinander. Die Neuerer, Schrittmacher und Gründer einer zukünftigen Gesellschaft konstituieren die erste Kategorie oder Gattung. Es sind dies "Figuren, die mehr der gesellschaftlich fortgeschrittenen Zukunft als der Gegenwart angehören, 'Helden der Arbeit', die das sozialistische Ideal schon machtvoll verkörpern, es mit ihrer Person in die gegenwärtige gesellschaftliche Wirklichkeit hereinholen . In wörtlichem Sinne Vor-Bilder der befreiten Arbeiter der sozialistischen Gesellschaft sollen sie zur Nachfolge, zur Mitarbeit beim Aufbau der sozialistischen Gesellschaft begeistern ...'n Als Beispiele dieses Typs dürfen Ole Bienkopp aus E. Strittmatters gleichnamigen Roman (1964) und Hans Aehre aus E. Claudius' Werk Menschen an unserer Seite (1951) gelten. Ole Bienkopp ist der Prototyp des idealistischen sozialen Reformers , ein unverwüstlicher Kämpfer für die sozialistische Gesellschaft der Zukunft. Als starrköpfiger Individualist gerät er mit den einschränkenden Kontrollmaßnahmen der Partei immer wieder in Konflikt. Seine Haltung der Partei gegenüber ist bestimmt kritisch, manchmal sogar heftig protestierend, aber nie 1. Handbuch zur deutschen Arbeiterliteratur, Bd. I, Hrsg. Heinz Ludwig Arnold (München: edition text und kritik, 1977), S. 105. 92ROCKY MOUNTAIN REVIEW absolut ablehnend oder verdammend. Die Existenzberechtigung und Führungsrolle der Partei erkennt er prinzipiell an, verwirft aber die langsame Arbeitsweise des bürokratischen Apparats. Der individualistische Einzelgänger wird als Motor, als Katalysator des gesellschaftlichen Fortschritts dargestellt, die Partei hinkt immer etwas hinterher. Seine Ungeduld und Vitalität, der Neid seiner Mitmenschen treiben ihn letzten Endes in den Tod. Dadurch gewinnt das Bild des sich opfernden Vorkämpfers und Gründers einer neuen Gesellschaft noch an Überzeugungskraft — es nimmt sogar mythische Züge an. Ist Öle der 'Held der Arbeit' auf dem Lande, dessen Lebenskampf den Kollektivierungsprozeß der Landwirtschaft widerspiegeln soll, dann ist Hans Aehre der 'Held der Arbeit' in der Fabrik. Aehre, wie der Name schon anzeigt, ist die treibende Kraft, der vitale und gesunde Mensch, der "innere Motor", wie es einmal heißt; er verrichtet 'sinnvolle Arbeit', d.h. Arbeit, die seinem Leben Sinn und Halt gibt. Er arbeitet auf ein Ziel zu, für das Gemeinwohl, nicht mehr nur gegen Belohnung und für sich selbst. Aehre ist das Musterbeispiel des fortschrittlichen Arbeiters, der genauso wie der 'neue Mensch' aus der Auseinandersetzung zwischen progressiven und rückständigen Kräften unter der weisen Führung der Partei heranwachsen soll. Zur zweiten Kategorie gehört der Typ des 'bekehrten Bejahers ' oderdes 'affirmativen Bekenners'. Nennenswerte Beispiele dieses Romanheldentyps sind Tom Breitsprecher in Karl-Heinz Jakobs Beschreibung eines Sommers (1961) und Rita in Christa Wolfs Der Geteilte Himmel (1963). Es handelt sich bei diesen Romanen um die Darstellung von Integrierungsprozessen von entweder gleichgültig Abseitsstehenden oder nur oberflächlichen Mitgliedern der DDR Gesellschaft zu aktiv mitwirkenden Vertretern und Verfechtern des existierenden sozialistischen Systems. Tom Breitsprecher, ein hervorragender Bauingenieur, dessen schlechte Erfahrungen in der HJ seine politische Skepsis gegen- über jeglicher Ideologie bestimmen, beteiligt sich aus Neugier und Abenteuerlust an einem Bauprojekt, das überwiegend von Brigaden der FDJ-Jugend bewältigt werden soll. Der Aufopferungswille und die unglaubliche Begeisterung der jungen Leute und die (sehr positiv gezeichnete) schlichtende Rolle der Partei machen aus Tom einen "Einsichtigen". Die Vernunftregelung der Partei — Trennung von der Geliebten — wird nach heftigen inneren Kämpfen anerkannt; die moralische Integrität und sittliche Vorrangstellung der Partei behauptet sich also. Die Erziehung des reserviert Abseitsstehenden zu sozialistischer Gesinnung und Gesittung erfolgt Hans Ternes93 durch tätiges Partizipieren an der allgemeinen gesellschaftlichen Aufgabe. Rita in Christa Wolfs Der geteilte Himmel wird durch ihre Liebe zu Manfred, der in den Westen flieht, vor die Entscheidung gestellt, zwischen zwei Systemen zu w...