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ZUM BEGRIFF DER MÖGLICHEN WELT IN J. A. COMENIUS' CONSULTATIO CATHOLICA An zentraler Stelle seines monumentalen Werks De Rerum Humanarum Emendatione Consultatio Catholica verwendet Comenius1 den später durch Leibniz zum gängigen terminus technicus gewordenen Begriff der "möglichen Welt" (mundus possibilis). Er ist der Schlüsselbegriff, aus dem der dritte Teil des Werks, die Pantaxia seu Pansophia, den für das gesamte Werk maßgeblichen Gedanken vom Aufbau des Wissens als einer Enzyklopädie entwickelt , die in ihrer systematischen Ordnung die Ordnung der Dinge bzw. der Welt schöpferisch rekonstruiert. In der Literatur ist zu Recht auf die neuplatonischen, humanistischen und barocken Wurzeln dieses Konzepts hingewiesen worden. Im nachfolgenden möchte ich an einigen ausgewählten Punkten auf die Transformation hinweisen, die der platonisch-neuplatonische Gedanke des "mundus intelligibilis" in der Aristoteles-Rezeption des 13. Jahrhunderts erfahrt und durch die das Prädikat "possibilis" erst den Sinn gewinnt, der den Ausdruck "mundus possibilis" in der von Comenius und dann später von Leibniz eingeschlagenen Weise verwendbar macht. Diese Transformation kulminiert im Denken des Johannes Duns Scotus (1265/6-1308) und wird über Ockham und den Nominalismus, vor allem aber über den Scotismus selbst und über Suarez an die Metaphysik des 17. Jahrhunderts vermittelt, an die Comenius über Aisted Anschluß hat.2 Im einzelnen möchte ich dies in der gebotenen Kürze am Begriff der Metaphysik (I), am Begriff der Möglichkeit (II) und am Begriff des Seienden bzw. der Realität (III) zeigen. 1A. J. Comenius, De Emendatione Rerum Humanarum. Consultationis Catholicae. Pars Tertia. Pansophia (Prag: Academia Scientiarum Bohemoslovacae, 1966). 2VgI. dazu W. Schmidt-Biggemann, Tópica universalis. Eine Modellgeschichte humanistischer und barocker Wissenschaft (Hamburg: Meiner, 1983): 139-41. 277 Franciscan Studies (54) 1994-1997 278LUDGER HONNEFELDER Die Vorgeschichte des von Comenius aufgegriffenen und an zentrale Stelle seines Denkens gerückten Begriffs der Ordnung und einer darauf bezogenen obersten universalen Wissenschaft ist nicht angemessen zu begreifen, ohne den Transformationsprozeß in Rechnung zu stellen, den das aristotelische Metaphysikkonzept und seine arabischen Interpretationen und Fortführungen im Anschluß an seine Wiederentdeckung durch die lateinischen Autoren des 12./13. Jahrhunderts erfahrt.3 Da das wiederentdeckte Corpus der metaphysischen Schriften des Aristoteles eine verwirrende Vielfalt von Gegenstandsbestimmungen der mit diesen Schriften neu zur Kenntnis genommenen "ersten Philosophie" bietet, bedarf es einer kritischen Abgrenzung dieser umfassenden Wissenschaft zur tradierten christlichen (Offenbarungs)-Theologie. Aus diesem Grund werden der Gegenstand der "ersten Philosophie," seine Erkennbarkeit und die der "ersten Philosophie" eigene Ordnung sowohl der Erkenntnisschritte als auch der Dinge selbst zu einem intensiv erörterten und zu einer Vielzahl von Lösungsversuchen führenden Themenkomplex. Da Aristoteles von den späteren frühneuzeitlichen Autoren im Horizont dieser Wiederaneignung, dem gleichsam "zweiten" Anfang der Metaphysik,4 gelesen wird, kommt der Transformation seines Konzepts im Prozeß dieser Aneignung auch für das Verständnis der neuzeitlichen Philosophie besondere Bedeutung zu. Das entscheidende Instrument, das man in diesem Prozeß—den Spuren des arabischen Philosophen Avicenna folgend—benutzt, um der Schwierigkeiten bei der Gegenstandsbestimmung der Metaphysik Herr zu werden, ist Aristoteles selbst in Form des Wissenschaftsbegriffs der Zweiten Analytiken, und zwar insbesondere des Begriffs der "apodeiktischen Wissenschaft" als dem Ideal 3VgI. dazu L. Honnefelder, Scientia transcendens. Die formale Bestimmung der Seiendheit und Realität in der Metaphysik des Mittelalters und der Neuzeit (Duns Scotus-Suaréz-Wolff-Pierce) (Hamburg: Meiner, 1990): 3-56. 4VgI. dazu und zum folgenden: L. Honnefelder, "Der zweite Anfang der Metaphysik. Voraussetzungen, Ansätze und Folgen der Wiederbegründung der Metaphysik im 13./14. Jahrhundert," in: Philosophie im Mittelalter. Entwicklungslinien und Paradigmen, hrsg. v. J. P. Beckmann, L. Honnefelder u. a. (Hamburg: Meiner, 1987): 165-87. ZUM BEGRIFF DER MÖGLICHEN WELT279 von Wissenschaft überhaupt. Wenn dieses Ideal zutrifft, muß die "erste Philosophie bzw. Wissenschaft" als ein aus ersten, unmittelbar als notwendig wahr erkannten Prinzipien deduktiv entwickelbares Wissen von notwendig Wahrem begriffen werden, das— sofern es sich auf das "Seiende als Seiendes" bezieht—schlechthin alles umfaßt. Johannes Duns Scotus, zur zweiten kritischeren Generation der Aristoteles Rezeption gehörend, diskutiert dieses Ideal einer alles umfassenden "ersten Philosophie" ausführlich und beschreibt es als das einer "scientia in se," d.h. einer alles Wißbare angemessen erfassenden und "propter quid," nämlich apodeiktisch bzw...

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