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  • Vorwort
  • Klaus L. Berghahn and Rüdiger Görner

Aus Anlass des 100. Geburtstags des Holocaustforschers und Schriftstellers H.(ans) G.(ünther) Adler veranstaltete das Deutsche Literaturarchiv Marbach im Juli 2010 in Marbach ein Symposium zu seinen Ehren unter dem Titel Dichter – Gelehrter – Zeuge. Organisiert wurde es von Rüdiger Görner (London) und Marcel Lepper (Marbach). Dieses internationale Symposion wollte nicht nur an einen ungewöhnlichen poeta doctus erinnern, dem die Schwierigkeit des Überlebens als Hauptgegenstand seines Schaffens zugewachsen war, sondern auch das Wegweisende dieses Werkes exemplarisch aufzeigen.

Da H.G. Adler hauptsächlich durch sein Theresienstadt- Buch (1955 / 1960) und zahlreiche weitere Veröffentlichungen zu diesem Thema als einer der frühesten und bedeutendsten Holocaustforscher allgemein Anerkennung fand, konzentrierte sich das Symposium auf die Werke des noch zu wenig bekannten Romanciers und Lyrikers sowie auf die Rezeption seiner Werke durch die Autoren W.G. Sebald und Peter Weiss.

H.G. Adler wurde am 2. Juli 1910 als einziges Kind einer assimilierten, jüdischen Familie in Prag geboren. Seine oft unterbrochene Erziehung in deutschen Internatsschulen beendete er 1930 in Prag mit einem externen Abitur. Danach studierte er bis 1935 an der Deutschen Universität Prag Musikologie, Literatur, Philosophie und Soziologie und promovierte mit einer Arbeit über Klopstock und die Musik, ohne dass er jemals von seiner akademischen Ausbildung Gebrauch hätte machen können. Von 1935 bis 1941 arbeitete er als Sekretär der Prager Urania, einer Institution der Erwachsenenbildung. Nach mehreren vergeblichen Versuchen zu emigrieren, wurde er mit seiner Frau Gertrud Klepetar am 8. Februar 1942 nach Theresienstadt deportiert, dessen Chronist er später wurde. Am 12. Oktober 1944 erfolgte ihr Transport nach Auschwitz, wo seine Frau mit ihrer Familie am 14. Oktober ermordet wurde. Er selbst überlebte das Vernichtungslager, da er schon nach vierzehn Tagen in ein Arbeitslager bei Buchenwald und von dort in das Nebenlager Langenstein [End Page 156] bei Halberstadt verlegt wurde, bis ihn im April 1945 amerikanische Truppen befreiten. Im Juni 1945 kehrte er nach Prag zurück, wo er als Erzieher in einem Heim für Kinder, die den Holocaust überlebt hatten, und später im Jüdischen Museum Arbeit fand. Nach dem kommunistischen Putsch von 1947 emigrierte er nach England, wo er alte Freunde und seine zweite Frau, Bettina Gross, traf. London wurde sein “Zuhause im Exil,” wie er es nannte, aber er kam zu spät dort an, um eine ihm angemessene akademische Anstellung zu finden. So lebte er lange Zeit unter schwierigen materiellen Bedingungen, aber kompromisslos als Privatgelehrter und freier Schriftsteller bis zum Ende seines Lebens im Jahre 1988.

Der Prager Kreis, das Erbe Kafkas hat ihn geprägt, das Lager, das Exil. Das buchstäblich ‚belagerte’, das verfolgte Ich hat sein Verständnis von ‚Wirklichkeit und Sein’ bestimmt. Wie Adler dies dokumentiert hat, alles Bildmaterial ins Wortsprachliche auflösend, und was er daraus dichterisch gestaltet hat, die Leidenserfahrung in sprachliche Bilder verwandelnd, das hat er uns als Aufgabe und Auftrag überantwortet, auf dass wir bleibend aus diesem Schaffen und seinen extremen Bedingungen lernen, aber das, darüber sei kein Zweifel, als von der Geschichte Gezeichnete.

Über diese von Tragik und Überlebenswillen, kaum nachvollziehbarer Arbeitsleistung, tiefer Menschlichkeit und Offenheit gegenüber jungen, fragenden Menschen geprägten Lebensgeschichte hat Franz Hocheneder eine gründlich recherchierte und ausführliche Monographie zu Adlers Leben und Werken publiziert: H.G. Adler (1910–1988). Privatgelehrter und Schriftsteller. Köln: Böhlau, 2009. Im vorliegenden Heft kommentiert er Adlers Text zum Jüdischen Museum in Prag aus dem Jahr 1947.

H.G. Adlers bedeutendes, in vieler Hinsicht kaum vergleichbares Schaffen ließe sich von seiner letzten Veröffentlichung, der Vorschule einer Experimentaltheologie, wie im Rückblick deuten; es wäre auch von seinen in den Lagern entstandenen Gedichten her erschließbar, die sich oft wie ein Vorgriff auf jene großen Themen lesen, die er nach 1950 mit inspirierter Beharrlichkeit als Dichter und Soziologe, Schriftsteller und Philosoph verfolgt hat. In diesem Sinne prinzipielle Überlegungen zum Wechselverhältnis von Leben und Schaffen Adlers versuchen die Beiträge von Ruth Vogel- Klein und Rüdiger Görner zu entwickeln, wobei Vogel- Klein die Zeugenschaft dieses Dichters und Wissenschaftlers als sein Verständnis von ‚Engagement’ deutet und Görner...

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