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  • Zwischen Wissenschaft und autobiographischem Projekt. Saul Friedländer und Ruth Klüger
  • Caroline Schaumann
Zwischen Wissenschaft und autobiographischem Projekt. Saul Friedländer und Ruth Klüger. Von Karolin Machtans. Tübingen: Niemeyer, 2009. xii + 292 Seiten. €59,95.

Im Zuge der vielfältigen autobiographischen Erinnerungen über die Nazizeit einerseits und theoretischen Analysen zum Erinnerungsdiskurs andererseits wendet sich Machtans zwei Autoren zu, die sowohl wissenschaftlich als auch autobiographisch über den Holocaust geschrieben haben, dem Historiker Saul Friedländer und der Literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger. Die innovative Gegenüberstellung der vom Holocaust geprägten Autobiographien zweier Akademiker ermöglicht es Machtans, die Übereinstimmungen und Abgrenzungen zwischen Wissenschaft und Autobiographie näher zu untersuchen. So bezieht der Historiker Friedländer etwa die persönlichen Erinnerungen der Opfer in die Geschichtsschreibung ein, während die Literaturkritikerin Klüger die Autobiographie auch als Geschichtsschreibung definiert. Als Wissenschaftler halten sowohl Friedländer als auch Klüger an dem Unterschied zwischen Fakten und Fiktion fest. Mit ihren Memoiren haben sie Texte vorgelegt, die wissenschaftliche und autobiographische Arbeit verknüpfen, Grenzen des jeweiligen Genres ausloten und zu einem hohen Maß von Selbstreflexion gekennzeichnet sind.

Machtans konzentriert sich zunächst auf den historiographischen Ansatz Friedländers und sein mehrbändiges Opus magnum Nazi Germany and the Jews (1997–2007). Sie erläutert die Entwicklung und den Wandel seiner wissenschaftlichen Position seit den 60er Jahren bis hin zu Friedländers Weigerung, als Historiker eine abschließende und "erlösende" Interpretation ("redemptive closure," 53) des Nationalsozialismus anzubieten. Diese Erkenntnis spiegelt die Erzählstruktur von Nazi Germany wieder, die keine übergeordnete abgeschlossene Deutung liefert, sondern den Stimmen der Opfer Raum gibt und deren unterschiedliche Wahrnehmungen gegenüberstellt. [End Page 146] Der von Machtans vorgelegte informative und detaillierte Überblick über Friedländers wissenschaftliches Werk ermöglicht ein besseres Verständnis des im Original auf Französisch erschienenen, autobiographischen Erinnerungstextes Quand vient le souvenir (1978) und dessen Zielsetzung. Denn auch als Autobiograph weigert sich Friedländer, den Holocaust in ein Narrativ von Kohärenz und Kausalität einzubetten. Durch den nicht-chronologischen Wechsel der Darstellungsebenen und die kommentarlose Integration verschiedener Perspektiven wählt Friedländer vielmehr eine Montagetechnik, die an Claude Lanzmanns Film Shoah erinnert und letztendlich die Undeutbarkeit des Holocaust bestätigt.

Auch bei Ruth Klüger wendet sich Machtans zuerst deren wissenschaftlichen Essays zu. Machtans würdigt Klügers breites literatur- und kulturhistorisches Wissen und ihre Fähigkeit, gut verständliche Aufsätze zu verfassen, die den Zugang zur Literatur erleichtern. Fiktive Berichte, die als faktische Schilderungen auftreten, bewertet Klüger als Kitsch. Sie besteht auf Wahrhaftigkeit auch in ihrer eigenen Autobiographie. Machtans beachtet bei ihrer Interpretation von weiter leben (1992) und der von Klüger selbst geschriebenen, neun Jahre später erschienenen englischen Fassung Still Alive (2001) insbesondere Klügers nuancierten Gebrauch der deutschen und englischen Sprache und österreichischer bzw. amerikanischer Idiome, durch die die Autorin sowohl die unterschiedlichen Kulturkreise als auch entsprechende Vergangenheitsdiskurse ausdrückt. Machtans' eingehende Untersuchung berücksichtigt dabei umfassend die jeweilige Sekundärliteratur und ergänzt diese durch wichtige, bisher unbeachtete Gesichtspunkte, wie den Hinweis auf die deutsche Rückübersetzung eines Teils von Still Alive in Klügers Vortrag "Ein alter Mann ist stets ein König Lear" oder Klügers indirekte Anspielung auf Friedländer in weiter leben. Dagegen wird Klügers neuestes Werk unterwegs verloren (2008) weniger einbezogen. Hier beschränkt sich Machtans auf einige deskriptive Gedanken am Ende der Arbeit, anstatt durchgängig angesprochene Argumente zu ergänzen oder neue zu formulieren. Auch könnten die wichtigen intertextuellen Referenzen zum Beispiel zu Herta Müller, die über Klügers weiter leben schreibt und die Klüger ihrerseits in unterwegs verloren zitiert, eingehender berücksichtigt werden.

Aus der insgesamt lohnenden Gegenüberstellung der beiden Autoren ergeben sich viele verfolgenswerte Parallelen. So fassten sowohl Friedländer als auch Klüger nach dem Krieg den Plan, nach Erez Israel auszuwandern, und beide wählten bewusst einen neuen, biblischen Vornamen. Beide Schriftsteller wenden sich an eine explizit deutsche Leserschaft, denn sowohl Friedländers Die Jahre der Vernichtung (der zweite Band von Nazi Germany and the Jews) als auch Klügers weiter leben wurden zunächst deutsch und erst später englisch veröffentlicht. Die Erinnerungstexte...

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