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Reviewed by:
  • Skirting the Ethical
  • Thomas Forrer (bio)
Carol Jacobs, Skirting the Ethical. Stanford, California: Stanford University Press, 2008. 249 pages.

What if?was, wenn am Rande einer Ethik des Guten (ethics) und den daraus abgeleiteten moralischen Vorschriften ein anderes Ethisches (ethical) auszumachen wäre, ein Ethisches, das den Einteilungen und Verpflichtungen einer philosophischen Ethik widersteht, sie aufstört und dagegen eine gewisse Möglichkeit und Verantwortung zur Erwiderung („respons-ability“) restituiert? In ihrem neuesten Buch Skirting the Ethical legt Carol Jacobs ein Konvolut von sechs Aufsätzen vor, in denen sie den Spuren jenes anderen Ethischen folgt. Dabei gibt die Frage danach nicht nur Anlass für eine Reihe bemerkenswerter Lektüren, die bei Sophokles’ Antigone einsetzen, über Platons Symposion und Politeia hin zu Hamanns Aesthetica in nuce führen, um schließlich auch an Sebalds Erzählungen Die Ausgewanderten und Jane Campions Film The Piano vorgeführt zu werden. Über die Formulierung „What if? “ (xvi)—selbst Ausdruck einer Erwiderung—werden auch die einzelnen Lektüren für ethische Projekte in jenem anderen Sinne erklärt.

Carol Jacobs unternimmt feinsinnige Randgänge, welche dem Buchtitel entsprechend die kanonischen Debatten der Texte, besonders bei Platon und Sophokles, umgehen, um sich im gleichen Zug auf das einzulassen, was die ethischen Positionen umgibt. Dass sie die Aufmerksamkeit dabei auf sinnfällige Figuren richtet, die gerade in philosophischen Kommentaren, wenn nicht ausgeblendet, so doch wenig zur Sprache gelangen, das lässt den Wert dieser literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzungen erahnen, gerade auch mit den Werken Platons, derer sich gut die Hälfte dieses Buches annimmt. Jacobs’ Lektüren sind von einer auffälligen Dynamik; sie verlaufen oft entlang abwegiger Details, konfrontieren diese miteinander, um an den Texten kleine Verschiebungen, Umlagerungen und Subversionen herauszustellen. Aus solchen Umwegen gehen, wie Jacobs im Prolog ausführt, keine Gegenpositionen hervor; sie fordern vielmehr die Eindeutigkeit heraus, welche die philosophische Ethik für ihre Sprache reklamiert. Das setzt die Möglichkeit ethischer Aussagen nicht nur „out of order,“ sondern markiert zugleich das Feld für eine Ethik, die das Außerordentliche und Einmalige zu ihrem Wesenszug hat: eine Ethik, deren ,A-moralität‘ sich zunächst dahingehend verstehen lässt, dass sie nichts entgegen-, sondern sich widersetzt.

„Kein Mensch muss müssen“: Das Diktum aus Lessings Nathan der Weise [End Page 709] steht als Motto über dem Buch und erfährt darin eine weitere Prägung—nicht in erster Linie dekonstruktiver Art. Vielmehr nehmen die Lektüren die Defiguration des aufklärerischen Diktums zum Anlass, um stets von Neuem an eine Emanzipation zu erinnern, die sich unabhängig von Vorschriften zu vollziehen hat: „A liberation unwound from the wound of specific hegemonies“ (152), so formuliert es Jacobs im Aufsatz zu Campions Film The Piano. Solch emphatisch figürliche Schreibweise macht sich im ganzen Buch an entscheidender Stelle bemerkbar. Der stumme Augenreim „unwound from the wound“ gibt zu lesen, dass Emanzipation die Wunden der Fremdbeherrschung nicht auslöscht (un-wound) und dass es sich bei der Sprache dieser Befreiung um eine kaum vernehmbare und stets uneigentliche handelt. Sie artikuliert sich etwa im störenden Klicken der metallenen Fingerkuppe, welche das Klavierspiel von Ada, der stummen Protagonistin im Film The Piano, begleitet. Es erinnert daran, dass ihr Gatte den Finger verstümmelte, nachdem er von der Fortsetzung ihrer Liebesaffäre erfahren hatte. Wenn das ungewöhnliche Klavierspiel jedoch Befriedigung schafft, so deutet sich ein Moment an, das in der wieder hergerichteten Ehe ebenfalls auftaucht, wenn Ada anstelle des Liebhabers nun im Gatten ein sexuelles Objekt findet und derart die eheliche Institution in kaum merklicher Weise unterwandert. Diese Irritation kann als Ausdruck einer leisen Ethik der Befreiung gelten, und doch ist sie nach Jacobs nicht beispielhaft.

Denn was sich vollzieht, entzieht sich dem Allgemeinen und gereicht ihm auch nicht zur Darstellung. Entsprechend verzichten die moralischen Kommentare, die Jacobs den Aufsätzen jeweils nachsetzt, darauf, Vorschriften zu machen. Vielmehr erinnern sie daran, dass die unvorhersehbare „performance“ nur am Einzelnen, an Figuren, Bildern und Kontiguitäten sich bemerkbar macht und dass es deren Bewegungen mit eben solcher „undisciplined curiousity “ (168) aufzuspüren gilt. Kann sich jenes Ethische im Lesen ebenfalls vollziehen? Dahin deutet nicht nur der hohe Grad an Selbstreflexion in Jacobs Lektüren: In ihrer...

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