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JENS KRUSE Flamme im Wasser, Schimmel im Kalk: Französische Revolution und Naturwissenschaft im Werk Goethes Der Riß im Schreibtisch Goethes Reaktion auf die Französische Revolution, auf die von ihr ausgelösten Kriege und Bürgerkriege ist seit den 70er Jahren wieder ein zentrales Thema der Goetheforschung.1 Das Studium der Werke Goethes und seiner Zeitgenossen im historischen Kontext der Französischen Revolution und ihrer Konsequenzen hat dabei für die Interpretation einzelner Werke,2 für die Neubewertung einzelner Autoren,3 und für die Literaturgeschichtsschreibung , so z.B. für die Bestimmung des Epochenbegriffs der Klassik,4 wichtige neue Ergebnisse produziert. Gerade aber bei Goethe scheinen diese Arbeiten eine alte Verlegenheit auf höherer Ebene neu produziert zu haben. Inwieweit Goethe die Revolution einfach ablehnte, einigen ihrer Aspekte positiv gegenüber stand, oder aber sich vor diesen Ereignissen in olympische Distanz zurückzuziehen suchte, scheint sich auch heute noch dem analytischen Zugriff letztlich zu entziehen. So konstatiert z.B. Eberhard Mannack jüngst zu recht: "Gerade zum letztgenannten [Goethes Urteil über die Französische Revolution] zeigen unsere Forscher wiederum große Unsicherheit, wenn es darum geht, die Meinung des alten Goethe zu ermitteln."5 Es scheint mir, daß wir auf den bisher verfolgten Wegen dieser Unsicherheit nicht werden entrinnen können. Ein weiterführendes Studium der Frage "Goethe und die Französische Revolution" wird versuchen 210 GOETHE SOCIETY OF NORTH AMERICA müssen, die FragesteUung zu verändern. Fragen wie "Was war Goethes Meinung über die Französische Revolution?" oder "In welchen Episoden seiner Texte finden wir die Ereignisse der Französischen Revolution oder ihre Problematik reflektiert?" bezeichnen wichtige Ansätze, ohne die weiterführende Fragen letzten Endes nicht möglich wären. Gerade für Liierafwrwissenschaftler wäre es jedoch an der Zeit, den Ansatz weiterzutreiben und zu fragen: "Wie wirkten sich die historischen Kräfte der Französischen Revolution auf Goethes Textproduktion aus? Welche Konsequenzen haben diese, sein Leben so zentral bestimmenden und intensiv begleitenden Ereignisse für das Material seines Schaffens, für seine Sprache?" Ein Text Goethes, der sich besonders deutlich auf die Kriegs- und Bürgerkriegsereignisse bezieht, nämlich die Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten ,6 vermag uns einen Hinweis zu geben, welche Konsequenzen die Französische Revolution für Goethes Textproduktion hatte. Dies ist paradoxerweise gerade deswegen der FaU, weil das Thema dieses Textes, ja dessen Existenzbedingung, die Vermeidung des Zur-Sprache-Bringens dieser Ereignisse zu sein scheint. Denn der Anlaß für die NoveUensammlung, die den GroßteU dieses Textes ausmacht, ist ja der politische Streit unter den Mitgliedern der aristokratischen GeseUschaft und das aus ihm sich ergebende Diktat der Baronesse, das dieser Gesellschaft die Exklusion des Politischen zum Gesetz macht: "Laßt uns dahin übereinkommen, daß wir, wenn wir beisammen sind, gänzlich alle Unterhaltung über das Interesse des Tages verbannen" (WA I, 18, 117)! Die Gespenstergeschichten, die nun als erste erzählt werden, drehen sich aber nicht zufällig um rätselhafte und widergesetzliche Störungen des geseUschaftiichen Lebens. Der Bruch geseUschaftlicher und naturgesetzlicher Regeln hat für Goethe ganz offenbar etwas Gespenstisches. Stellt schon dieser Umstand die von der Baronesse geforderte Trennung von politischer und geseUschaftlicher Welt in Frage, so wird die Möglichkeit solch säuberUcher Trennung voUends als Ulusionär entlarvt, wenn gleich im Anschluß an diese Geschichten ein lauter KnaU nun nicht auf der Ebene der fiktiven Erzählungen, sondern auf der Ebene des "realen" Rahmengeschehens die IdyUe zerstört. Eine vorläufige Untersuchung ergibt, daß der Knall diesmal nicht einem "sterbendem Liebhaber" sondern einem Schreibtisch zuzuschreiben ist: "Die gewölbte Decke desselben war quer völlig durchgerissen" (WA I, 18, 148). Diese zwar die Herkunft nicht aber die Ursache des Knalls erläuternde Entdeckung führt zu einer kleinen naturwissenschaftlichen Untersuchung mit Hilfe von Barometer und Thermometer, bei der ein Hygrometer "schmerzlich vermißt" wird. Nicht jedoch die Forschung mit Hilfe des naturwissenschaftlichen Instrumentariums, sondern der direkte Augenschein, nicht also die Newtonsche, sondern eher die Goethesche Methode des Naturstudiums, gibt weiteren Aufschluß.7 Ein Feuer- Jens Kruse 211 schein läßt einen Brand auf dem linksrheinischen Gut der Baronesse befürchten und die Vermutung wird geäußert, daß das Verbrennen eines Zwillingsschreibtisches auf diesem...

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