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JOHN A. MCCARTHY Disciplining History: Schiller als Historiograph ι AN sich lautet mein Thema "Schülers Beitrag zur Entstehung der Geschichtswissenschaft"—die amerikanische Formulierung meines Titels klingt jedoch erhabener. Nicht zuletzt wegen des Untertons eines immerwährenden Kampfes. Und wft wissen, dass SchUler sein Leben lang tatsächUch um seine Existenz kämpfen musste: um seine Leibesexistenz, seine ökonomische Existenz, um seine geistige SteUung zwischen dem rationalen Rigorismus von Kant und der anmutigen Leichtigkeit von Goethe und Wieland. Diese Gespanntheit kommt Ui semen Werken und Briefen häufig zum Ausdruck. Am 7. Januar 1788 schrieb er z. B. an seinen Freund Christian Gottfried Körner (1756-1831): "Das Abarbeiten meiner Seele macht mich müde, ich bin entkräftet durch den immerwährenden Streit meiner Empfindungen, nicht durch Regeln oder Autoritäten gelähmt wie Du glaubst. . . . Meine jetzigen Arbeiten mögen mitunter auch an dieser Ermattung schuld seyn," denn, wie er zugesteht, er sei genötigt, "seichte, trockne und geistlose Bücher" zu lesen. "Ich ringe mit einem mir heterogenen fremden und oft undankbarem Stoff, " fährt er fort, "dem ich Leben und Blüthe geben soU, ohne die nöthige Begeisterung von ihm zu erhalten" (NA 25:1,3). Der Stoff, von dem er spricht, sind die QueUendokumente zu seiner Geschichte der niederländischen RebelUon. In diesem Raum zwischen Strenge und Geschmeidigkeit, zwischen Detailforschung und Breitenwirkung, zwischen Plattheit und Erzähtfluss bewegte sich Schüler also auch als Historiograph. "Wenn es Nothdurft ist," erklärt er dem Freund, "die Geschichte zu lernen, so hat derjenige nicht für den Undank gearbeitet, der sie aus einer trockenen Wissenschaft Ui eine reitzende verwandelt" (NA 25:3). Eben diese Verwandlung einer "trockenen Wissenschaft" in eine unterhaltend reizende Disziplin ist Thema meines Beitrags. In seiner umfangreichen Doktorarbeit Wissenschaft aus Kunst (1996) sieht der Historiker Daniel Fulda Ui diesem Schiüerschen Ansatz eine Forderung nach der " 'Überkreuzung' der Disziplinen, " denn Schüler habe "eine kunstvolle Wissenschaft und eine wissenschaftsfundierte Kunst" anvisiert. Noch mehr. SchiUer gUt Fulda als "der bedeutendste Transformator zwischen Aufklärungshistorie und Historismus"; deshalb scheint die Zurückhaltung der Historiker gegenüber dem Dichter verwunderlich zu sein.1 Wenn bei Fulda das rhetorische Moment Ui der schönen Goethe Yearbook XII (2004) 210 John A. McCarthy Diktion die zentrale Angelegenheit ist, steht Un folgenden der Antagonismus Un Mittelpunkt meiner Überlegungen. Wenn Fulda die ThemensteUung als Historiker prüft, betrachte ich sie als LiteraturWissenschaftler . In der Auswertung der " 'ambivalente [n] Synthese' von Wissenschaft und Kunst in Gestalt einer wissensfundierten Kunst," wie Thomas Prüfer das Phänomen formuUert,2 Uegt für mich der Angelpunkt außerhalb der Symbiose von Fakten und rhetorischen Strategien bzw. von GeschichtsphUosophie und Kunsttheorie. Er Uegt Un Zusammenwirken nicht nur ästhetischer, sondern auch erkenntnistheoretischer, UistitutioneUer und privat-persönUchen Antriebe des damaUgen Uterarischen Lebens, welche für SchUler im Vordergrund standen und nach Fulda noch zu wenig erforscht seien.3 Diese Studie darf also als bescheidener Beitrag zur KontextuaUsierung der Geschichtstheorie in der frühen "Sattelzeit" um 1800 angesehen werden.4 Im Gegensatz zu Fulda und Prüfer, die bemüht sind, die wissenschaftsgeschichtliche Dimension von Schülers Leistung Ui der Übergangsphase von der pragmatischen Auf klärungshistoriographie zur modernen Geschichtstheorie zu erläutern, betone ich die durch Existenzfragen bedingte pragmatische EüisteUung des Dichters zum Fache. 1787 begann ein entscheidender Abschnitt Ui Schülers Leben, die dann maximal vier Jahre dauern sollte, wovon er nur knapp zwei Jahre als "zunftfremder Geschichtsprofessor" Ui Jena verbrachte. 1787 schloss er nämUch die Arbeit am historischen Drama Don Carlos ab, wechselte nach Thüringen über und suchte den persönUchen Kontakt zu den großen Weimarer Dichtern. Von Wieland wurde er wohlwoUend aufgenommen, war bei ihm häufig zu Gast. Wieland wollte ihn gern enger an den Teutschen Merkur binden. Sie schmiedeten gemeinsame Pläne, wobei sich Schüler als "presomptiever Erbe des Merkur" verstand (NA 24:166). Gleichzeitig verfolgte er den Plan, sich einen Ruhm als Historiker zu sichern. Im Sommer 1788 arbeitete er intensiv an seinem "Debut Ui der Geschichte," der Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlanden von der spanischen Regierung, deren erster Band im gleichen Jahr erschien und sogar sofort eine zweite Auflage erlebte (der zweite geplante...

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