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  • Der Holocaust im Film. Mediale Inszenierung und kulturelles Gedächtnis
  • Heike Polster
Der Holocaust im Film. Mediale Inszenierung und kulturelles Gedächtnis. Herausgegeben von Waltraud Wende. Heidelberg: Synchron, 2008. 329 Seiten + 30 s / w Abbildungen. €39,80.

Für die meisten von uns ist die Judenverfolgung der Nationalsozialisten ein durch Medien vermittelter Teil der Geschichte. Wenn wir uns “erinnern,” haben wir Medienbilder vor Augen, ja sogar die Bezeichnung “Holocaust” hat sich nach der Sendung der amerikanischen Miniserie als Standardbezeichnung für den Massenmord am europäischen Judentum etabliert. Diese Medialisierung des Massenmordes markiert den geschichtlichen Übergang vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis, d.h. von Erzählungen aus erster Hand zu vielschichtig und multimedial vermittelten Narrativen, die Marianne Hirsch “Postmemory” nennt. Hierdurch entsteht ein massenmedialer Erinnerungsdiskurs, der die kritische Beschäftigung mit der Vergangenheit in der Darstellung durch das Medium Film notwendig macht.

Der vorliegende Band widmet sich der Kernfrage, wie sich die Gedächtniskultur verändert, wenn der Holocaust mit den erzählerischen Mitteln des Spielfilms, der generell auf Unterhaltung und Spannung abzielt, dargestellt wird. Die einzelnen Beiträge beschäftigen sich daher vorrangig mit dem Zusammenhang kollektiver Gedächtnisinhalte und filmhistoriographischer Interpretationsmuster. Obwohl die englischsprachigen Kultur- und Filmwissenschaften in den vergangenen Jahren eine Vielzahl relevanter Fragen zur mediengestützten Erinnerung äußerst gründlich beforscht haben, findet sich in dieser Aufsatzsammlung viel Neues.

Das Gesamtbild des Bandes zeigt überzeugend den Wertewandel in der Darstellung der Judenverfolgung und der Kriegsjahre. Neben einer generellen Zusammenfassung der Filmgeschichte des Holocaust werden die Veränderungen des filmischen Repräsentationsstils zur Sprache gebracht. Darüber hinaus liefern die Einzelbeiträge eine [End Page 608] umfassende Diskursgeschichte der Shoah, die über eine Enttabuisierung bis hin zur Trivialisierung führt. Besonders der Erinnerungsboom der 90er Jahre, der an manchen Stellen zu Sensationalismus in der Darstellung der Schrecken des Nationalsozialismus geführt hat, wirft Fragen der Konsumierbarkeit, aber auch der Trivialisierungsproblematik auf. In den Aufsätzen wird wiederholt die Notwendigkeit geäußert, Claude Lanzmanns Fiktionsverbot zu revidieren, das dieser einst äußerte, um die ethischen und moralischen Probleme einer fiktionalisierten Darstellung von traumatischer Geschichte aufzuzeigen. In der hier vorliegenden Sammlung hingegen wird konsequent nach massenkompatiblen Darstellungen der Geschichte gesucht, die das Leiden der Opfer nationalsozialistischer Gewalt nicht trivialisieren.

Das genaue Augenmerk auf filmische Methoden der Bezugnahme auf die nationalsozialistische Vergangenheit und den Holocaust bietet, so die Autoren, einen Einblick in die Kriterien der Wirklichkeitskonstruktion im historischen Erinnern. Die Autoren analysieren die in den Filmen geschaffene Modellierung der Welt auf Komplexität, prüfen das Zeichenrepertoire der Filme und fragen konsequent nach der Konventionalität der repräsentativen Strategien. Knut Hickethier macht hierzu auf besondere Montagetechniken aufmerksam, die erkennen lassen, wie der rekonstruktive Charakter des Blicks formal und ästhetisch ins Bild gesetzt wird.

Manuel Köppen beschäftigt sich mit medialen Vergegenwärtigungsstrategien, und welcher Materialwahl und ästhetischen Aufbereitung diese sich bedienen. In Köppens Beitrag finden wir ferner die Formulierung der zentralen Frage, der sich der Band verschreibt: “Die Auseinandersetzungen um ‘legitime’ und ‘illegitime’ Formen kultureller Vergegenwärtigung,” bemerkt er, “um ‘angemessenes’ Gedenken und die ‘korrekte’ Interpretation der Vergangenheit, mit denen die Einschreibungen in das kulturelle Gedächtnis überprüft werden, zielen im Kern immer auf die Frage der Authentizität der jeweiligen Darstellungs- und Erinnerungskonzepte. Wie sind ‘wirkliche’ und vor allem wirksame Aussagen nach und über Auschwitz formulierbar, wenn es unmöglich ist, die Vergangenheit authentisch zu erfahren?” (278). Mit der Entscheidung für “narrative und figurative Darstellungen des Holocaust,” so Köppen, “wird Erinnerungspolitik gemacht, ebenso mit der Behauptung der Nicht- Darstellbarkeit des industriellen Massenmords in den Konzentrationslagern, die das Nicht- Darstellbare tabuisiert und zum Sakrileg erhebt” (287). In diesem Zusammenhang bemerkt Georg- Michael Schulz, dass ein Film, wenn er sich um die erreichbare Authentizität—die des Zeigens—bemühe, er auch “das Verhältnis zu dem Gezeigten oder Nicht- Gezeigten mit reflektieren” müsse (159).

Ein besonderer Verdienst dieses Bandes ist die Erweiterung des untersuchten Spektrums filmischer Darstellungen des Holocaust und der Kriegsjahre. Einige herausragende Beiträge sollen im Folgenden betont werden: Frank van Vree richtet sein Augenmerk auf osteuropäische Filmemacher und deren deutliche Verwandtschaft mit Nuit et Brouillard (Alain Resnais, 1955) in puncto filmischer Repräsentation des...

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