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  • "Kampf gegen Gespenster". Die Radio-Essays Wolfgang Koeppens und Arno Schmidts im Nachtprogramm des Süddeutschen Rundfunks als kritisches Gedächtnismedium
  • Justus Fetscher
"Kampf gegen Gespenster". Die Radio-Essays Wolfgang Koeppens und Arno Schmidts im Nachtprogramm des Süddeutschen Rundfunks als kritisches Gedächtnismedium. Von Ansgar Warner. Bielefeld: Aisthesis, 2007. 190 Seiten. €29,80.

Revolutionäre Forminnovation zuerst—dann konservative institutionelle Besetzung—endlich untergründige allgemeine Transformation der Wahrnehmung: das scheint ein Sequenzmuster, Medienwirkungen technik-, sozial-und kognitionshistorisch zu beschreiben. Die Dissertation Ansgar Warners präsentiert ein aufschlussreiches Kapitel der gleichen Geschichte: den bundesdeutschen Radio-Essay der 1950er Jahre. Sie kombiniert dazu vier Ansätze. Sie betreibt Mediengeschichte, und zwar eher im Sinne einer medienwissenschaftlich informierten Publizistik. Sie befragt ihren Gegenstand auf die rhetorischen Register und Effekte, deren er sich bedient. Sie versteht den Radio-Essay als Gedächtnismedium im Kontext von Konzepten des kulturellen Gedächtnisses, wie sie in der deutschen Debatte vor allem Aleida und Jan Assmann entwickelt haben. Und sie plädiert dafür, ihn mit der zeitgenössischen Theorie und Praxis des Essays zu vermitteln. Das ist anspruchsvoll und raffiniert, geht nicht ganz auf, was aber nichts daran ändert, dass diese Arbeit beachtenswerte Meriten hat.

Den größten Raum seiner fast siebzigseitigen methodologischen Vorüberlegungen widmet Ansgar Warner dem Genre des Essays. Ausgehend von dem Umstand, dass das Stuttgarter Funkhaus des Süddeutschen Rundfunks (SDR) 1955 eine eigenständige Redaktion für Radio-Essays einrichtete, gleicht er die Eigenschaften dieses Sendeformats, das in der Nähe zum alten Hörbild und zum zeitgleich florierenden Feature angesiedelt war, mit den Essay-Theorien von Max Bense und Theodor W. Adorno ab. Hier [End Page 440] ist mit Benses Bestimmung, der Essay betreibe eine ars combinatoria, mehr anzufangen als mit Adornos Kultivierung des Essays als einer Form asystematischer Reflexion, in der Philosophie und Kunst konvergieren ohne ineinander ganz aufzugehen. Adornos Opposition gegen totalisierende Theorie im Hegel'schen Stil und seine Wiederaufnahme der Essay-Auffassung Georg Lukács' werden von Warner nur gestreift. Sie sind auch nicht unmittelbar auf die schriftstellerische Praxis seiner Radio-Essayisten zu beziehen. Warner beklagt, die Theoretiker und Autoren des zum Druck bestimmten Essays hätten auf die Medien dieses Genres zu wenig reflektiert. Im Lichte von Christoph Ernsts gleichzeitig entstandener Geschichte (Essayistische Medien reflexion. Bielefeld: transcript, 2005) ist das nunmehr zu relativieren. Doch gerade dann, wenn Warner hier richtig liegen sollte, wäre auch der Umkehrschluss plausibel: Dass die Genrebezeichnung Radio-Essay ihrerseits medial unterreflektiert ist, ein Versuch der Radioleute, das kulturelle Prestige des traditionellen literarisch-philosophischen Essays Montaigne'scher Prägung zu beleihen und die neue Programmsparte einer bildungsbürgerlichen Hörerschaft nahe zu bringen. Erst spät zeichnet sich klarer ab, dass Warners Überlegungen zum Essay auf etwas hinaus wollen, das weiter reicht als eine bloße Ergänzung des konventionellen Genre-Verständnisses um eine Nebenform. Nämlich dreierlei: eine Veränderung des Essay-Begriffs durch den Radio-Essay, eine durch dessen Auftreten ausgelöste Verschiebung im literarisch-medialen Gefüge der essayistischen Formen und schließlich die Entdeckung eines Essayistischen, das in verschiedenen Medien, beispielsweise auch im Film-Essay, verschiedene Techniken ausbildet.

Hier greifen Warners Hinweise auf die Korrelation von Feature und Montage, literarischer und radiophoner essayistischer Kombinationskunst. Die von ihm untersuchten Radio-Essays verbänden einen didaktischen Appellcharakter mit einer erstaunlich komplexen Syntax sowohl der Satzteile wie der in den Sendungen ins Spiel gebrachten Aspekte und Überlegungen. Sie spannten so einen Konfliktraum auf, in dem Vorstellungen des persönlichen und des allgemeinen Gedächtnisses aufeinander träfen. Freilich meint das nicht das Gedächtnis von allem und jedem, sondern so etwas wie ein zeitgeschichtliches Bewusstsein von der zeitgeschichtlichen Welt, in der die bundesdeutschen Schriftsteller und Hörer um 1955 lebten: "Drittes Reich" und Kalter Krieg. Der Radio-Essay schien hier seine Eignung zum wie im Fluge leichten, phantastischen und augenöffnenden Zusammenschnitt, technisch: zur Montage und Blende von Stimmen und Textteilen, auszuspielen: "Gerade die Tatsache, dass der Radio-Essay kollektive und individuelle Perspektive kontrastiert und dabei den Erinnerungsprozess selbst zur Diskussion stellt, verleiht ihm den Charakter eines metakommunikativen Gedächtnismediums" (137).

Unverkennbar kommen hier Assmann'sche Theoreme zur Anwendung. Sie modifizieren sich nur nicht genug bei ihrer Begegnung...

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