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  • Geopoetik. Studien zur Metaphorik des Gesteins in der Lyrik von Hölderlin bis Celan
  • Alexander Honold
Geopoetik. Studien zur Metaphorik des Gesteins in der Lyrik von Hölderlin bis Celan. Von Erika Schellenberger-Diederich. Bielefeld: Aisthesis, 2006. 386 Seiten. €39,80.

Gesteine als Gegenstand von Gedichten—welche Fülle an Themenfeldern und Autoren mit einer solchen Perspektive zu erschließen ist, demonstriert eine flüssig geschriebene und lehrreich zu lesende Studie der Gießener Dozentin Erika Schellenberger-Diederich.

Wie mit dem gestirnten Himmel, so befasst sich die menschliche Imagination seit alters her auch mit dem Erdboden, seinen Erscheinungsformen und vor allem auch: mit seinen Geheimnissen und seinen Schätzen. An hohen Gebirgsketten war die Gewalt grunderschütternder Umwälzungen zu bestaunen, während in Bergesklüften und in unzugänglicher Tiefe edle Steine und kostbare Rohstoffe vermutet wurden. Die "Erde" als eines der vier klassischen Elemente umfasst demnach zweierlei: zunächst den topographischen Schauplatz alles Festen und Irdischen im Gefüge der physikalischen Aggregatzustände, und weiterhin die konkreten materiellen Bestandteile und Gebilde, also 'Erde' im Sinne einer Vielzahl von geochemisch bestimmbaren Substanzen.

Die Frage nach dem Gestein und seinen geschichtlich sich wandelnden kulturellen Bedeutungen zielt demnach sowohl auf einen elementaren Raum der in Horizontale und Vertikale ausgreifenden Naturerfahrung (Gebirge, Felswände, geologische Aufschlüsse, Bergwerke und Höhlen usw.), wie sie andererseits auch eine gleichsam ontologische Problematik berührt. Was bedeutet der Stein und das Steinerne, von der Warte des Lebens aus betrachtet? Die Welt der Gesteine schließt die Skala natürlicher Lebensstufen gleichsam nach unten ab, ohne doch ganz aus den Wahrnehmungs-und Deutungsmustern des Lebendigen herauszufallen: da sind einerseits petrifizierte Gestalten als Zeugnisse eines abgesunkenen Tier-und Pflanzenreiches, andererseits lässt sich Kristallen eine Art "Wachstum" nachsagen. Vor allem die Romantik sinnt zwischen unbelebter und organischer Natur auf Übergänge und Zwischenformen, während das 19. Jahrhundert sich mit Fleiß und gewissenhaftem Sinn fürs Detail auf das Sammeln, Archivieren und Klassifizieren verlegt.

Wie Erika Schellenberger-Diederich in ihrer originellen Studie zur "Metaphorik des Gesteins" darlegt, sind die Hervorbringungen der Erdkruste sowohl als Gebilde wie als Imaginationsraum ein reichhaltiger Bildfundus in der modernen Literatur und zumal in der Lyrik. Wenn Gesteine, Mineralien und Fossilien seit 1800 zunehmend als Objekte des Wissens und der kulturellen Deutung in den Blick rückten, so stand dies in Zusammenhang mit einem neu sich entwickelnden Verständnis geologischer und geographischer Zusammenhänge. Die Erde, einst für eine unhinterfragte, sichere Grundlage allen menschlichen Tuns genommen, erweist sich mehr und mehr als ein eigendynamischer Schauplatz. Klüfte und Aufwerfungen, Erdbeben und Vulkanausbrüche legen Zeugnis davon ab, dass in diesem Elementarraum solcherart fortdauernde [End Page 431] und grundstürzende Bewegungen stattfinden, wie sie das späte 18. Jahrhundert als "Revolutionen" zu bezeichnen pflegte. Mit überblicksartigen Einführungskapiteln versetzt Schellenberger-Diederich ihre Leserschaft zurück in die entscheidende Umbruchphase des Erdwissens, an der sie auch den Beginn einer sachverständigen literarischen Thematisierung des Gesteins ansetzt.

Die Erdwissenschaften sind um 1800 einer der am vehementesten erschütterten Gegenstandsbereiche des Naturwissens. Sowohl Geographie wie auch Geognosie bzw. Geologie durchlaufen in beschleunigtem Tempo einen tiefgreifenden epistemologischen Wandel. Für die Geographie fungieren raumerschließende Forschungsreisen und kartographische Vermessungsunternehmen als Schrittmacher der neuen Entwicklungen, in der Geologie sind es die heftig geführten Debatten zwischen Neptunisten und Vulkanisten, in welchen scheinbar konträre Erklärungsmodelle zur Entstehung der Oberflächengestalt der Erde verhandelt wurden. Zu einem herausgehobenen Schauplatz der Naturerforschung wurde die Bucht von Neapel, die mit dem feuerspeienden Vesuv, den lavabegrabenen antiken Orten Pompeji und Herkulaneum und auch mit den schwefeldampfenden Flegräischen Feldern ein eindrucksvolles Repertoire fortdauernder Erd-Aktivitäten vor Augen führte. Besonders die als Ruinenreste im Hafen von Pozzuoli frei emporragenden Säulen des ehemaligen Serapis-Tempels hatten es Italien-Reisenden wie Goethe angetan (44–49), denn diese Relikte wiesen in einer gewissen Höhe eine scharf abgemessene Zone von poröser Oberfläche auf, die von den Bohrlöchern bestimmter Meeresmuscheln herrührten und nur den bestürzenden Schluss zuließen, dass jene Säulen sich zwischenzeitlich unter Meeresniveau befunden haben mussten. Bevor 1830 der britische Geologe Charles Lyell in seinen Principles of Geology die zwischen Land und Meer...

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