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  • Physis und Norm. Neue Perspektiven der Anthropologie im 18. Jahrhundert
  • Nicole Calian
Physis und Norm. Neue Perspektiven der Anthropologie im 18. Jahrhundert. Herausgegeben von Manfred Beetz, Jörn Garber und Heinz Thoma. Göttingen: Wallstein, 2007. 488 Seiten + 18 Abbildungen. €44,00.

In dem Sammelband Physis und Norm. Neue Perspektiven der Anthropologie im 18. Jahrhundert liegen die Beiträge der Jahrestagung von 2003 der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts vor. Der Anspruch der Herausgeber Manfred Beetz, Jörn Garber und Heinz Thoma, der gemäß dem Titel 'Neue Perspektiven' zur Anthropologie im 18. Jahrhundert liefern will, ist in Ansicht des weiterhin (in der europäischen Germanistik) großen, anhaltenden Interesses hinsichtlich 'Anthropologie,' 'anthropologische Wende,' 'literarische Anthropologie' kein geringer. Innerhalb dieses seit etwa 1994 in zahlreichen Publikationen kartierten Forschungsgebietes zeichnen sich unterschiedliche Richtungen ab. Hans-Jürgen Schings' Sammelband Der ganze Mensch, in dem der Schwerpunkt der Forschung auf der physischen Anthropologie liegt, initiiert eine Ausrichtung, die sich—folgt man dem polemischen Urteil der Herausgeber von Physis und Norm—insbesondere auf "anthropologische Sonderent-wicklungen als Vorformen der Individualisierung in Gestalt psychischer Pathologien" (10) konzentriert. Zu dieser Richtung wäre auch der jüngst erschienene Sammelband von Manfred Engel und Rüdiger Zymner zu zählen, Anthropologie der Literatur. Poetogene [End Page 418] Strukturen und ästhetisch-soziale Handlungsfelder (2004), dessen Beiträge ein Interesse an einer sogenannten Biopoetik der Literatur betonen, das auf empirisch verfahrende Disziplinen wie die Humanethologie, die Sozio-und Evolutionsbiologie und die Evolutionäre Psychologie rekurriert. Im Gegensatz dazu suchen die Herausgeber die Fokussierung auf die physische Anthropologie um die normative sowie kulturund geschichtsphilosophische Dimension der Anthropologie zu erweitern. Sie führen damit eine Tradition fort, die sie bereits in einem 2004 erschienenen Sammelband zum Programm gemacht haben: Zwischen Empirisierung und Konstruktionsleistung. Anthropologie im 18. Jahrhundert. Hierin wird u.a. auf "der Doppelbedeutung des Naturbegriffs als Einheit von Physis und Norm" insistiert. Dieser Verweis gilt auch schon als einzige Erklärung in Bezug auf den Titel des Bandes; weder der Begriff der Physis noch der der Anthropologie im Verhältnis dazu werden eingehend erläutert.

Um es gleich vorweg zu nehmen: die Lektüre dieses auf durchweg hohem Niveau gehaltenen Sammelbandes ist unbedingt zu empfehlen! Allen Beiträgen voran steht ein Aufsatz von Ulrich Gaier über Herders Konzeption der Humanität als Aufgabe. Herders Schriften gelten neben anderen Autoren des späten 18. Jahrhunderts wie z. B. Krüger, Unzer, Sulzer, Abel, von Haller als Fundgrube für anthropologische Studien. So hebt Gaier auch die Vorgehensweise Herders hervor, der "jeden Argumentationsschritt" nicht nur "empirisch," sondern auch "begrifflich und analogischbildlich" durchdenkt, um so "jeweils den ganzen Menschen mit dem Sachverhalt zu befassen" (18). Entscheidend für Herders Entwurf seiner anthropologisch verifizierten Philosophie ist, dass er in den Naturgesetzen eine Norm ausgedrückt findet, die mit Humanität gleichgesetzt wird. Diese Humanität ist wie ein Prinzip zu verstehen, das gemäß eines "labilen Gleichgewichts," das die "gleichbelasteten Waagschalen einer Brückenwaage oder das schwingende Pendel als Ruhe-und Beharrungszustand anstreben" (26), zu einer dynamischen und im Werden begriffenen Aufgabe wird. Gaier zieht deshalb den Ausführungen Herders folgend den Schluss: "Physis wird Norm" (26). Für die nachstehenden Beiträge in diesem Band bleibt es hilfreich, dementsprechend an einem Begriff von Physis festzuhalten, dem eine innere Dynamik eigen ist, und der weiterhin diese innere Dynamik auch notwendigerweise auf eine sich ihm angleichende 'Norm' überträgt. Denn diese Problemstellung scheint auch besonders für die fünf Themenbereiche des Bandes—physische Anthropologie (1), Geschlechteranthropologie (2), Pädagogik (3), kulturelle Etikette (4) und Moral in intermedialen Text-und Bildstrategien (5)—von Bedeutung. Folgende Rezension konzentriert sich auf Beiträge, die die Diskussion zu Wechselwirkungen zwischen Physis und Norm mit unterschiedlicher Differenzierung auf intrapersoneller, interpersoneller und schließlich auch auf intermedialer Ebene beleuchten.

In einem der Beiträge des ersten Abschnittes zeichnet Ingo Stöckmann auf beispielhafte Weise die ästhetische Progression der Aisthesis in der vorkantischen Ästhetiktheorie nach und füllt damit gleichzeitig ein von Carsten Zelle aufgestelltes Desiderat der Forschung in Ansätzen. In den Schriften Baumgartens und Sulzers wird die Entwicklung offengelegt, die "ästhetikgeschichtliche Bedeutungskonturen der Aisthesis einmal statt von der Seite der sensitiven Erkenntnis des ästhetischen...

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