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  • Zigeunerbilder. Ein dunkles Kapitel der deutschen Literaturgeschichte. Von der frühen Neuzeit bis zur Romantik
  • Iulia-Karin Patrut
Zigeunerbilder. Ein dunkles Kapitel der deutschen Literaturgeschichte. Von der frühen Neuzeit bis zur Romantik. Von Wilhelm Solms. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2008. 316 Seiten. €28,00.

Solms' Untersuchung mit ihren zwanzig überwiegend chronologisch gegliederten Kapiteln bietet eine umfassende Systematik der 'Zigeuner'-Motive und-Figuren aus vier Jahrhunderten deutscher Literatur, von den Schwänken und Fastnachtsspielen des beginnenden 16. Jahrhunderts bis zur Spätromantik. In einem imagologischen Verfahren stellt Solms 'Zigeuner'-Bilder und-Motive aus literarischen und expositorischen Texten gegen die historische Lebensrealität und Verfolgungsgeschichte deutscher Sinti. Stets innerhalb dieses theoretisch-methodischen Horizonts verbleibend, zielt die Untersuchung auf eine Bestimmung des (im Laufe der Zeit changierenden) wechselseitigen Beeinflussungsverhältnisses zwischen der gesellschaftlichen Ausgrenzung der Sinti und den literarischen 'Zigeuner'-Bildern (die laut Solms häufig in komplizenhafter Relation zum gesellschaftlichen Exklusionsregime stehen).

Durch die bislang einzigartige Fülle des Materials, die akkurate Systematisierung der Verbreitung einzelner 'Zigeuner'-Motive in einer Perspektive langer Dauer und die durchgängige Bezugnahme auf rechts-und verwaltungsgeschichtliche Quellen [End Page 412] kann die Studie ohne Wenn und Aber als Referenzwerk gelten. Sie richtet sich nicht nur an die Antiziganismusforschung, sondern auch an literatur-sowie diskursgeschichtlich Interessierte und bietet Anhaltspunkte für eine historische Situierung aktueller minderheitspolitischer Debatten. Besonders hilfreich ist das ausführliche, in Sachbücher und literarische Werke unterteilte "Chronologische Verzeichnis der Zigeunerbilder," das von 1433 bis 1836 reicht (299–311) sowie die einzelnen Epochen zugeordneten tabellarischen Übersichten, die die Frequenz einzelner Motive synoptisch darstellen (24, 232f.). Richtig und wichtig ist ferner Solms' Insistieren auf der gesamtgesellschaftlichen Brisanz der jahrhundertelangen Stigmatisierung einer Gruppe, die auf dem Gebiet Deutschlands mitnichten fremd, sondern vielmehr seit dem 15. Jahrhundert ansässig ist, erst unlängst aber als ethnische Minderheit anerkannt wurde. Offen bleibt neben einigen text-und rezeptionsästhetischen Aspekten die Frage, in welchem Maße die 'Zigeuner' der staatlichen Quellen (deren Abgrenzung von 'Vaganten' schwierig ist) deckungsgleich mit den zum Teil schon niedergelassenen Sinti waren—ein geschichtswissenschaftliches Problem, allerdings nicht unwichtig für das von Solms anvisierte Verweisverhältnis.

Solms zeigt, dass das Feindbild der fahrenden Bettler in der Frühen Neuzeit (z. B. bei Sebastian Münster 1550) auf die in süddeutschen Gebieten eingetroffenen 'Zigeuner' übertragen und dabei mit stereotypem Wissen über Türken und Tataren, daneben auch Ägypter, vermengt worden sei (39f.). Die expositorischen Quellen des 16. Jahrhunderts können laut Solms als "Reflex auf die Zigeunerpolitik und nicht umgekehrt" (26) gelten, wobei diese Politik eigentlich nicht auf die ethnische Gruppe der Sinti reagiert habe; letztere gerieten vielmehr, auch aufgrund der unachtsamen Wissensproduktion, in bestehende Exklusionsmuster, denen sie dann lange Zeit kaum mehr entkommen konnten. Nur punktuell und eher in Epochen, in denen die Feinde ganz anders definiert wurden (etwa während des Dreißigjährigen Krieges) ließen staatliche Verfolgung und gleichzeitig textliche Stigmatisierung der 'Zigeuner' etwas nach. Grimmelshausens Romane (insb. Simplicissimus, 1669; sowie Die Landstörtzerin Courasche, 1670) schätzt Solms überwiegend ambivalent hinsichtlich ihrer Wirkung ein, zumal die Frage nach der Legitimität regelsubversiven Verhaltens von 'Zigeuner'-Figuren offen bleibt; positive 'Zigeuner'-Bilder findet er dagegen in den Epigrammen Hofmann von Hofmannswaldaus. In den Traktaten des 17. und frühen 18. Jahrhunderts stößt man auf eine zunehmende Kriminalisierung der 'Zigeuner,' was mit den herrschaftspolitischen Erwägungen der Zeit konform geht. Passend dazu sieht Solms in den mit Hofleuten besetzten 'Zigeuner'-Maskenspielen der Hof-, Schul-und Wandertheater um 1700 eine zynische Verzerrung der realen, von Verfolgung bestimmten Lebensumstände der Sinti. In der Dichtkunst und-theorie der Aufklärung blieben 'Zigeuner' Randfiguren; Johann Christoph Gottscheds dichterische Invektive gegen das "lumpicht Bettelvolk" zielt gemäß des aufklärerischen politischen Gesellschaftsverständnisses auf die Einweisung in ein "Zucht und Arbeitshaus" (110). Für die Spätaufklärung beschreibt Solms wachsende Meinungsspielräume, die am Beispiel der drei maßgeblichen Wissenschaftler J.C.C. Rüdiger, H.M.G. Grellmann und J.E. Biester offenbar werden, wobei sich, passend zur staatlichen Politik, die zwischen Totalassimilation und Totalexklusion oszillierende Sichtweise Grellmanns durchsetzte. Passend dazu sind im Hannikel-Roman des evangelischen Vikars Christian Friedrich Wittlich mit dem Untertitel "Ein wahrhafter Zigeuner-Roman ganz aus...

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