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  • Dr. Mabuse, Winnetou & Co. Dreizehn Klassiker der deutschen Unterhaltungsliteratur
  • Alexander Košenina
Dr. Mabuse, Winnetou & Co. Dreizehn Klassiker der deutschen Unterhaltungsliteratur. Von Helmut Schmiedt. Bielefeld: Aisthesis, 2007. 273 Seiten. €19,80.

Literatur, die den Publikumsgeschmack gefällig bedient, steht in der Kulturkritik nicht hoch im Kurs. Doch käme niemand auf den Gedanken, Klassiker nur aufgrund ihres Erfolgs von der literaturwissenschaftlichen Analyse auszuschließen. Selbst weniger kunstvolle Bestseller versprechen Aufschlüsse über Geist und Interesse einer Epoche, im Beispiel etwa die Liebesmelancholie der Empfindsamkeit oder die vorgebliche Arglosigkeit nationalsozialistischer Mittäter. Warum Texte wie Goethes Werther oder Schlinks Vorleser so populär sind und welche Lehre sie der Unterhaltung beimischen, ist eine Problemstellung, die sich auch für Bücher lohnt, die stärker unter Trivialitätsoder Kitschverdacht stehen. Mit abnehmendem künstlerischem Raffinement wird es lediglich schwieriger, daraus geistreiche Fragen und Thesen zu entwickeln.

Helmut Schmiedt hat sich in seinen dreizehn Fallstudien zur deutschen Unterhaltungsliteratur redlich um prägnante Beobachtungen und Schlussfolgerungen bemüht. Keiner der Essays, die immer wieder gut aufeinander Bezug nehmen, setzt die Kenntnis der besprochenen Beispiele unbedingt voraus. Schmiedt entwickelt vielmehr anhand der Inhalte jeweils eine Fragestellung, die von einem längeren Auszug zu Beginn jedes Kapitels ausgeht. So entsteht eher eine Genealogie und Typengeschichte als eine Theorie oder Konzeption der Unterhaltungsliteratur. Außer dem Bühnenschwank Der Raub der Sabinerinnen (1884) von Franz und Paul von Schönthan sowie Heinz Bolten-Beckers Schlager Schenk mir doch ein kleines bißchen Liebe (1904) sind die behandelten Texte Romane.

Eröffnet wird die Reihe mit Christian Fürchtegott Gellerts Leben der Schwedischen Gräfin von G*** (1747 / 48): Der Roman, der die älteren Genres des Galanten und Abenteuerlichen miteinander verbindet, stellt die unablässig propagierten Ideale der Mäßigung, Tugend und Güte durch möglichst grelle Ausnahmeerlebnisse auf die Probe. Dabei werden nicht nur konventionelle Erwartungen, etwa über Liebe und Entsagung, bedient: Die berühmte Darstellung des polnischen Juden, dem zuerst das Leben gerettet wird und der anschließend seinem Wohltäter die Gefangenschaft in Sibirien über jedes natürliche Maß der Dankbarkeit hinaus erträglich macht, ist dafür ein gutes Beispiel. Diese erste positive jüdische Figur in der deutschen Literatur kann man der These zugrunde legen, dass Unterhaltungsliteratur durchaus progressive, aufklärende und reformerische Ziele verfolgen und damit zur politischen Bildung eines größeren Publikums beitragen kann.

Das Gegenteil ist aber ebenso möglich. Gut zweihundert Jahre nach Gellert zieht Heinz G. Konsalik im Roman Der Arzt von Stalingrad (1956) ganz andere Schlüsse aus einer vergleichbaren Situation russischer Kriegsgefangenschaft: Dieser Bestseller der Nachkriegsliteratur korrigiert Geschichtsbilder in Gestalt einer als wahr ausgegebenen Handlung. Die Kriegsschuld wird dabei nicht geleugnet, in den Vordergrund tritt aber eine Gruppe unerschrockener und hilfsbereiter deutscher Ärzte, die so geschickt gegen nichtsnutzige russische Kollegen ausgespielt wird, dass vor allem der Eindruck untadelhafter und unbeugsamer Einzelcharaktere entsteht. Die vorbildliche individuelle Erziehungsgeschichte bei Gellert wird so durch ein Dokument zur Bildung und Stärkung einer neuen Volksmoral kontrastiert. [End Page 111]

Strukturelle Parallelen entdeckt Schmiedt auch zwischen Christian August Vulpius' Rinaldo Rinaldini, der Räuberhauptmann (1799) und Johannes Mario Simmels Es muß nicht immer Kaviar sein (1959 / 60): Der aufmüpfige Räuberroman der Spätaufklärung und der zuerst im Magazin Quick in Fortsetzung erschienene Agententhriller über den ebenso smarten wie weltläufigen Thomas Lieven haben die simple Verkettung von Abenteuerepisoden gemeinsam. Vulpius lockert diese barocke Reihungsstruktur durch Dialogpassagen auf—was übrigens noch längst nichts mit der Gattungsüberschreitung romantischer Universalpoesie zu tun hat, wie Schmiedt meint (45), sondern in der Aufklärung spätestens seit Friedrich von Blanckenburgs Versuch über den Roman (1774) äußerst beliebt ist. Simmel hingegen spielt durch Einschaltung von Briefen, Funksprüchen oder geheimdienstlichen Meldungen mit Gattungsmustern, vor allem um den Eindruck von Authentizität und historischer Präzision zu erzeugen.

Das Genre der erotischen Literatur kommt unter dem Titel "Deflorationsbemühungen" zur Sprache. Anhand von Christian Althings Gustchen oder Geschichte dreier Hochtzeitsnächte (1805) ergänzt Schmiedt das Prinzip der Episodenreihung durch das der Aussparung—trotz bizarrer Bemühungen gelingt es der Titelheldin nämlich nicht, die erwünschte sexuelle Initiation zu finden. Ganz anders als bei den frivolen franz...

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