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  • Ästhetik der Beschreibung. Poetische und kulturelle Energie deskriptiver Texte (1700–2000)
  • Rüdiger Singer
Ästhetik der Beschreibung. Poetische und kulturelle Energie deskriptiver Texte (1700–2000). Von Heinz Drügh. Tübingen: Francke, 2006. viii + 468 Seiten. €78,00.

Beschreibungen sind langweilig: So schnöde lässt sich die Tendenz von Lessings Schrift Laokoon oder: über die Grenzen der Malerei und Poesie (1766) zusammenfassen. [End Page 618] Sie sind es deshalb, weil sie aus Betrachtern Leser machen, die 'künstliche' (sprachliche) statt 'natürlicher' (optischer) Zeichen aufnehmen müssen, und das auch noch nacheinander statt gleichzeitig.

Beschreibungen sind faszinierend: Zu dieser Überzeugung kommt Heinz Drügh in seiner Habilitationsschrift nicht etwa, indem er Lessings strikte Antinomien in Frage stellte (wie etwa Hans Holländer: "Literatur, Malerei und Graphik. Wechselwirkungen, Funktionen und Konkurrenzen." In: Literatur intermedial. [ . . . ]. Hrsg. Peter V. Zima. Darmstadt 1995, 129–170). Im Gegenteil glaubt er, dass Lessing eine Aporie bereits der antiken Ekphrasis-Konzeption aufgedeckt habe: Einerseits solle eine Beschreibung Enargeia bzw. Evidenz erzeugen, also Anschaulichkeit im Sinne des 'Vor Augen-Stellens' optischer Phänomene. Andererseits setze sie zu diesem Zweck auf die "Anhäufung von Merkmalen des darzustellenden Gegenstands" und widerspreche damit "der üblichen Textökonomie, derzufolge jeweils nur ein Element oder sehr wenige ausgesuchte aus einem Paradigma im Syntagma realisiert werden. [ . . . ] Folglich steht die Beschreibung stets in der Gefahr, in das Gegenteil von Evidenz, in obscuritas umzuschlagen" (17).

Gerade diese Dunkelheit aber, so Drüghs Leitidee, kann aus der Sicht "eines formalistischen Literaturbegriffs sowie einer (spät) avantgardistischen Ästhetik" zum Faszinosum werden, eben weil "ihr Zugriff auf die Gegenstände sich in seiner eigenen Textur verstrickt und dadurch die Referenzillusion unterläuft" (17). Drügh denkt hier generell an das "Bedürfnis" der Moderne, "die Kunst auf ihre Grundlagen, auf ihre 'Buchstaben' und Mittel zurückzuführen" (zit. nach Gottfried Boehm, 2). Er denkt speziell an Roman Jakobsons Bestimmung der poetischen Funktion (14ff.) und an Roland Barthes' "Lust am Text," eine Lust an "akribischer Lektüre" (14) angesichts "textproduktive[r] Selbstverstrickung" (17). Von der These ausgehend, dass gerade die referenzlastige Beschreibung zur Selbstreferentialität tendiert, versucht Drügh also, den von ihm ausgewählten Beschreibern—Brockes, Winckelmann, Kleist, Stifter, Musil, Eich, Weiss und einigen Pop-Autoren—nachzuweisen, dass ihren Texten besagtes Paradox eingeschrieben (oder eingewebt) sei, bei den Früheren eher ungewollt, bei den Späteren mit modernistischem Kalkül. Da Drügh das textanalytische Handwerkszeug souverän beherrscht, überzeugt dies immer wieder—aber beileibe nicht immer.

Nehmen wir Kleists Vorrede zum Zerbrochnen Krug (170), in der le Veaus gleichnamiger Kupferstich nach dem Gemälde von Debucourt (174) beschrieben wird. Drüghs Beobachtungen sind treffend: Kleist setzt die eigentliche Bildbeschreibung durch Gedankenstriche vom umgebenden Text ab und gliedert sie vor allem durch drei Doppelpunkte. Dass aber diese Doppelpunkte "die Ekphrasis weniger in dynamischer Hinsicht pointieren denn in gleichberechtigt nebeneinander stehende Sinneinheiten segmentieren," bleibt zu beweisen. Drügh behauptet: "Die textuelle Umsetzung der von Shaftesbury wie von Diderot aufgestellten Forderung, derzufolge auf einem Bild das Ganze mit einem Blick, 'l'ensemble d'un coup d'oeil' wahrzunehmen sei, erzeugt [ . . . ]—wörtlich genommen—im Text einen eher patchworkartigen denn organisch-zusammenhängend wirkenden Effekt" (176). Will aber Kleist tatsächlich diese (auch für Lessing zentrale) Forderung umsetzen? Das wäre eigentümlich, denn der 'erste Blick' auf dieses Bild zeigt lediglich, dass es sich um eine ländliche Gerichtsverhandlung handelt (174). Wer aber die Beteiligten sind und wie sie zueinander stehen, erschließt sich erst nach und nach, gewissermaßen lesend. Deshalb ist es völlig 'evident,' wenn Kleist seine Beschreibung folgendermaßen beginnt: "Man bemerkte [End Page 619] darauf—zuerst einen Richter, der gravitätisch auf dem Richterstuhl saß: vor ihm stand eine alte Frau, die einen zerbrochnen Krug in der Hand hielt, sie schien [ . . . ]" (170). Dass man den Richter 'zuerst gewahrt,' lässt sich durch seine Position im Bild erklären und dass dann die Klägerin thematisiert wird, durch den Blickkontakt beider. Diesem graphischen Verbindungselement entspricht in Kleists Text—durchaus "organisch-zusammenhängend"—der Doppelpunkt. Das Bild ist also ein Musterbeispiel für ein Kunstwerk, das Lessings "Grenzen der Malerei und Poesie" ignoriert: Kleists Text folgt ihm darin und braucht sich auch um...

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