In lieu of an abstract, here is a brief excerpt of the content:

Reviewed by:
  • Schreibgebärden. Zur Poetik und Sprache bei Thomas Bernhard, Peter Handke und Botho Strauß
  • Jochen Bedenk
Schreibgebärden. Zur Poetik und Sprache bei Thomas Bernhard, Peter Handke und Botho Strauß. Von Christoph Kappes. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2006. 251 Seiten. €29,80.

Schreibgebärden hat Christoph Kappes die Buchversion seiner in Berlin vorgelegten Dissertation Zur Poetik und Sprache bei Thomas Bernhard, Peter Handke und Botho Strauß überschrieben. Das Schlagwort bringt die Grundfragestellung des Buches auf den Punkt; denn es umfasst zwei sich diametral entgegengesetzte Deutungsweisen [End Page 448] desselben Vorgangs. Mit Schreibgebärden sind einerseits Schreibakte gemeint, also Produktionen von Sinn; andererseits aber, nämlich dann, wenn die verfassten Texte ihren eigenen Sinn dementieren, können sie auch nur eine körperliche Bewegung bezeichnen: eine Form des Schweigens. Nun kann dieses Schweigen selbst durchaus beredt sein. Dies ist dann der Fall, wenn die Schreibbewegung selbst als Sichtbarmachen des Unsagbaren gelesen wird. Verstanden als Gebärde im Sinne Helmuth Plessners kann sie einen "Zugang zu Tatsachen [eröffnen], die sprachlich nicht zu beantworten und nicht zu bewältigen sind" (16). Notwendig wird dieses selbstreflexive Double aus Sinnproduktion und Unsagbarkeit nicht mehr als Spiel romantischer Ironie (vgl. 14), sondern als möglicher Zugang zum Unfassbaren, Nicht-zu-Bewältigenden: dem "Tremendum des Holocaust" (Botho Strauß). Nirgendwo wird die schon früh konstatierte Glaubwürdigkeits- und Repräsentationskrise von Sprache bzw. von Literatur evidenter als vor der historischen Realität der Shoah. Doch welche Schlussfolgerungen lassen sich aus dieser Krise ziehen?

Kappes stellt die Frage, ob sich eine politisch engagierte Literatur—etwa im Gegensatz zu Filmen wie Oliver Hirschbiegels "Der Untergang" oder dem Berliner Holocaust-Mahnmal—des Versagens der künstlerischen Mittel bei der Schilderung und Repräsentation von Auschwitz von vornherein bewusst sein müsse. Als Konsequenz daraus wäre die Grenze zum Unsagbaren, an der sich eine sprachskeptische literarische Moderne schon seit Mallarmés Ablösung des Zeichens vom Referenten abarbeitet, das eigentliche poetische Feld einer politisch engagierten Literatur. Dies würde bedeuten, dass eine adäquate "Vergegenwärtigung" des Schreckens nur aus der "Differenz zu vergangenen und abwesenden Tatsachen" möglich (15) sei. Auch auf die Gefahr von Eskapismus und einer l'art pour l'art hin müsse die historische Realität von Auschwitz stets als das Andere einer einzufordernden semiotischen Negativität von Gegenwartsliteratur gesehen werden.

Dass Kappes Belege für diese (im Grunde genommen Adorno'sche) These gerade in Romanen der 1980er Jahre findet, namentlich in Thomas Bernhards Auslöschung (1986), in Botho Strauß' Der junge Mann (1984) und in Peter Handkes Die Wiederholung (1986), kann kaum überraschen. Wie kaum ein anderes steht das vorletzte Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts für eine literarische Neuorientierung, die durch das so genannte Ende der Ideologien erzwungen wurde. In der Literaturgeschichte wird deshalb häufig von der "Neuen Subjektivität" in den 80er Jahren gesprochen, für die Kappes die von ihm untersuchten Romane Bernhards, Handkes und Strauß' als Hauptvertreter ausmacht. Charakteristisch für diese Strömung sei eine "neue subjektgeschichtliche Intensität der NS-Vergegenwärtigung" (Klaus Briegleb), die man auch als Reaktion auf die (von den Mitscherlichs in ihrem frühen Essay Über die Unfähigkeit zu trauern 1964 ausgemachte) "Ich-Verarmung" bei der Auseinandersetzung mit der NS-Historie verstehen kann. Sichtbar werde dies in der Opposition zu einem öffentlichen Diskurs, in dem der Einzelne die Verantwortung für die historischen Ereignisse in allgemein sanktionierte Sprachformeln überführen und damit vergessen könne (vgl. 49). Gegen die Phrasenhaftigkeit der öffentlichen Begegnung mit der Geschichte setzen die drei Autoren ein äußerstes Misstrauen in die Sprache, das sich stets über die Reflexion über die NS-Zeit begründet. Besonders explizit wird diese Konstellation in Thomas Bernhards Auslöschung. Der Roman stellt das paradoxe Unterfangen des (fiktiven) Autors Franz-Josef Murau dar, die eigene nationalsozialistisch belastete Familiengeschichte auszulöschen, indem sie niedergeschrieben wird. [End Page 449] Für Bernhard mündet das dokumentarische Aufschreiben der Historie zwangsläufig in einen Prozess der Verfälschung und Unkenntlichmachung von Realität. In Peter Handkes Die Wiederholung wird die Reise des Protagonisten Filip Kobal nach Slowenien zu einer Begegnung mit einer "anderen Landschaft," in der es einen sinnvollen "Zusammenhang" geben kann...

pdf