In lieu of an abstract, here is a brief excerpt of the content:

  • “Wenn du einmal im Sarg liegst, kommst du nicht mehr raus” Einführung zum Interview mit Dr. Philipp Jenninger
  • Jan C. L. König

Dr. Philipp Jenninger, geboren 1932 in Rindelbach/Jagst, studierte in Tübingen Rechts-und Staatswissenschaften, promovierte 1957 zum Dr. jur. und wurde 1964 persönlicher Pressereferent des Bundesministeriums für Ange-legenheiten des Bundesverteidigungsrates. Von 1982 bis 1984 war er Staats-minister im Bundeskanzleramt, von 1984 bis 1988 Präsident des Deutschen Bundestages.

Am 9. November 1988 hielt Jenninger im Bundestag anläßlich der Gedenkfeier zum 50. Jahrestag der Reichspogromnacht die offizielle Gedenk-rede. Diese wurde mißverstanden, mißgedeutet, umgedeutet und instrumenta-lisiert. Jenninger trat nach heftigen Protesten der Opposition und Presse gegen seine Rede bereits am nächsten Tag zurück; die Mißwirkung seiner Rede und [End Page 177] die daraus folgenden Konsequenzen für das zweithöchste Amt der Bundes-republik bleiben im Nachkriegsdeutschland beispiellos. Germanisten, Psychologen und Kommunikationswissenschaftler analysierten Jenningers Rede; zudem erschienen Dokumentationen, die die politischen und journalistischen Hintergründe aufdeckten, die zum Skandal geführt hatten.

Die Rede stellt nicht nur deshalb bis heute eine Ausnahmeerscheinung dar, weil ihre Wirkung den Redner zum sofortigen Rücktritt drängte und seine öffentliche politische Karriere beendete,1 sondern auch, weil sowohl die Integrität des Redners als auch der Inhalt der Rede nicht angegriffen wurden—die Kritik beschränkte sich im Anschluß an die Gedenkstunde vor allem auf die sprachliche Umsetzung. Insbesondere die Fernsehdokumentation aus dem Jahr 1989 Die Affäre Jenninger—Was eine Rede an den Tag brachte bewies allerdings, daß die Umstände, die zu dem Skandal führten, zumindest auch einem Großteil politischen Kleinkriegen im Hintergrund und journalistischer Sensationslust und Effekthascherei geschuldet werden.2

Nach der Fernsehdokumentation von 1989 gab Jenninger erst 1995 wieder ein längeres Interview über seine Rede und die Hintergründe seines Rück-tritts; es war allerdings ausschließlich als Anhang eines wissenschaftlichen Buches einzusehen, das nur auf Microfiche veröffentlicht wurde.3

Nun, fast 20 Jahre nach seiner Rede, erklärte sich Philipp Jenninger zum ersten Mal nach langer Zeit wieder bereit, die Ereignisse vor, während und nach dem 9. November 1988 aus seiner persönlichen Sicht zu beschreiben und zu bewerten.4

Jan C. L. König
Universität Bern

Footnotes

1. Jenninger stellte sich nach seinem Rücktritt in seinem Wahlkreis nicht zur Wiederwahl. Statt dessen wurde Jenninger von 1991 bis 1995 Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Österreich und von 1995 bis 1997 beim Heiligen Stuhl.

2. Hill, Werner und Horst Königstein, Die Affäre Jenninger. Was eine Rede an den Tag brachte. Hamburg: Norddeutscher Rundfunk 1989.

3. In Nettelstroth, Ulrich, Die Rede Philipp Jenningers vom 10. November 1988 – Reaktionen und Interpretationen. Oder: „Was darf man beim Namen nennen in Deutschland.“ Marburg: Tectum 1995.

4. Das Interview wurde geführt im Rahmen meines Dissertationsprojektes „Die Wirkung-sästhetik der politischen Rede“ an der Universität Bern unter Ordinarius Prof. Dr. Dr. Ernest W. B. Hess-Lüttich. [End Page 178]

...

pdf

Share