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  • Sexualität und Modernität. Studien zum deutschen Drama des Fin de Siècle
  • Romana Weiershausen
Sexualität und Modernität. Studien zum deutschen Drama des Fin de Siècle. Von Johannes G. Pankau. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2005. 397 Seiten. €39,80.

"[U]m den Sex herum zündet eine diskursive Explosion" (Foucault, Sexualität und Wahrheit I): Dies gilt bekanntlich für das Fin de siècle in besonderem Maße, woraus sich für die Literaturwissenschaft ein wichtiges Forschungsgebiet entwickelt hat. Johannes Pankau hat hierzu einen weiteren Beitrag geleistet, indem er den Zusammen [End Page 578] hängen zwischen Sexualitäts- und Modernediskursen im Drama um 1900 nachgeht. Gerade die Theaterbühne, so weiß Pankau herauszustellen, ist dafür prädestiniert, Spielräume im Umfeld des Erotischen auszuloten, denen im Alltagsdiskurs der Zeit deutliche Grenzen gesetzt sind. Durch den Status von Öffentlichkeit, der mit der theatralen Repräsentation einhergeht, sind auf der anderen Seite Reibungen vorprogrammiert: "Die direkte und häufig extreme Thematisierung des Sexuellen kollidiert mit konventionellen Publikumserwartungen, die sich an der Trennung von Geist und Körper, hoher Literatur und Pornographie etc. orientieren" (23). Im Spannungsfeld zwischen Libertinage und Zensur, zwischen modernistischen Experimenten und Formtradition entfaltet Pankau ein Spektrum künstlerischer Entwürfe in der Umbruchszeit der Jahrhundertwende.

Der Untertitel hätte sich dabei durchaus präzisieren lassen, denn neben einem fundierten Einblick in die Diskurse, in deren Schnittpunkt die Studie angesiedelt ist (etwa zum Wandel der Zeitbegriffe, zu Moderne, Nervosität, Weiblichkeit und Kleidung) gelingt gleichzeitig die Beleuchtung eines repräsentativ gewählten Ausschnitts, ohne den sich die Betrachtungen leicht im Flächigen hätten verlieren können: Hier stehen die Dichter der Dekadenzliteratur aus dem Umfeld der Münchener (vereinzelt auch der Berliner) Bohème im Blickpunkt und unter diesen speziell Frank Wedekind. Ein Drittel der gesamten Monographie befaßt sich in subtilen Einzelanalysen mit Dramen und Schriften sowie auch einzelnen Erzähltexten dieses thematisch einschlägigen Autors. Es folgen Untersuchungen zu dem in der Forschung wenig beachteten Heinrich Lautensack, zu Ludwig Thoma, Stanislaw Przybyszewski (als Repräsentant der Berliner Bohème), Carl Sternheim und Oskar Panizza.

Da es darum geht, ein Diskursgefüge zu erfassen, ist es unerläßlich, die Untersuchung nicht nur auf Texte der Höhenkammliteratur zu beschränken: Auswahlkriterium ist "der Aussagewert der Dramen für das Problemfeld, nicht die literarische Qualität" (25). Daß insgesamt nur Dramen männlicher Autoren berücksichtigt wurden, ist mit dem zeitgenössischen Geschlechterdiskurs durchaus konsistent: Frauen ist hier die Position des Objekts zugewiesen, sie 'verkörpern' Geschlechtlichkeit, eine aktive Teilhabe am Reden über Sex ist nicht vorgesehen. Sexualität jenseits herrschender Sittlichkeitsvorstellungen offen zu verhandeln, bedeutet in der Zeit für weibliche Autoren einen doppelten Tabubruch. Gleichwohl hat es libertinäre Entwürfe von Schriftstellerinnen, wie z.B. von Franziska Gräfin zu Reventlow, gegeben, allerdings überwiegt hier eindeutig die erzählende Gattung: Auch dies ist im Zusammenhang der Debatten über Genre und Geschlecht im Literaturbetrieb der Zeit zu diskutieren. Die Einschränkung auf männliche Dramatiker, die sicherlich naheliegend war, hätte immerhin nutzbringend erläutert und ausgewertet werden können, da sich hier in folgenreicher Weise Sexualitätsdiskurs, Geschlechterdiskurs und die Bedingungen von Autorschaft um 1900 bündeln: Der Blick auf den Kunstbetrieb der Zeit, der in der Studie lohnenderweise unternommen wird, hätte so eine weitere Dimension gewonnen.

Den ausgewählten Autoren ist gemeinsam, daß sie—insbesondere Wedekind—"innerhalb d[es] Prozesses der Herausbildung einer deutschen Theatermoderne" eine "exponierte Position" einnehmen, sie die Entwicklung im Inhaltlichen und in der Form voranbringen. Andererseits geraten sie in eine Randstellung, indem "die ihnen anhaftende Reputation als Erotomanen und Tabuverletzer, Décadents und Kranke sie bereits in ihrer Zeit zu Außenseitern stempelte" (25). [End Page 579]

Die Kapitel zu den einzelnen Autoren sind unterschiedlich angelegt, gemessen am jeweiligen Stellenwert und den vorliegenden Konstellationen. Von Ludwig Thoma etwa, der erklärtermaßen aus der Reihe der behandelten Autoren herausfällt, da hier der "provokante Grundgestus und modernistische Schreibimpuls [. . .] weitgehend [fehlt]" (26), wird innerhalb eines allgemeinen Kapitels zur Münchener Zensur nur das zum Kontext passende Stück Moral thematisiert. Przybyszewskis Dramen werden im direkten Vergleich unter jeweils verschiedenen Perspektiven zusammen...

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