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Reviewed by:
  • Karl Philipp Moritz. Literarische Experimente auf dem Weg zum psychologischen Roman
  • Markus Wilczek
Karl Philipp Moritz. Literarische Experimente auf dem Weg zum psychologischen Roman. Von Alexander Košenina. Göttingen: Wallstein, 2006. 182 Seiten. €24,00.

In einer überschaubaren und gut lesbaren Studie hat Alexander Košenina die gemeinhin weniger beachteten Texte Karl Philipp Moritz' aus den Jahren 1778 bis 1786 erschlossen. Der Blick auf diese disparaten Texte erlaubt es, so Košeninas These, die "allmähliche Verfertigung des Schriftstellers Moritz aus Experimentalanordnungen" (8) nachzuvollziehen. Indem Košenina herausarbeitet, welche Schreibstrategien Moritz in diesen "diaristischen, dramatischen, dokumentarischen, lyrischen und erzählerischen Experimenten" (14) 'erprobt,' gelingt ihm eine Darstellung von Moritz' Werk als Prozeß, in dem die Voraussetzungen für den eben nicht solitären Anton Reiser greifbar werden. Methodisch geht Košenina dabei im guten Sinne unprätentiös vor: Vielleicht nicht zuletzt, da er auch als Herausgeber der von ihm besprochenen Texte in der derzeit erscheinenden Kritischen Karl Philipp Moritz Ausgabe fungiert, praktiziert er ein philologisch fundiertes, schnelle Synthetisierungen vermeidendes Lesen, das sich zwanglos mit ideen- und kunstgeschichtlichen Kontextualisierungen verbindet.

Im ersten Kapitel geht Košenina davon aus, daß "der Pfiff und die Popularität der frühen Lebensphilosophie in neuen literarischen Formen begründet [liegen]" (16) und bescheinigt Moritz' Beiträgen zu einer Philosophie des Lebens, ein "literarisch ambitioniertes Experiment mit Darstellungsformen" (17) zu sein: Zu denken ist hier vor allem an "offene literarische Formen, wie Gespräch, fiktiver Brief, Essay oder Aphorismus" (18). Überzeugend demonstriert Košenina, wie "Moritz' aus anderen Quellen gespeiste innere Disziplin [. . .] für eine sprachliche Bestimmtheit und Knappheit dieser mit Absolutheitsanspruch vorgenommenen Einträge [sorgt]" (33), und die Beiträge aus dieser Perspektive als ein "Initialdokument [. . .], das die quietistischen Reflexionsverbote auf der einen mit der schriftstellerischen Selbstbefreiung auf der [End Page 568] anderen Seite verbindet" (35), lesbar werden. Allerdings fallen die Bemerkungen zu den jeweiligen 'offenen Formen' recht knapp aus, so daß die von Košenina selbst zugespitzte Frage, "inwiefern" Moritz' Beiträge "mit literarischen Mitteln etwas zur frühen Lebensphilosophie beisteuern" (18)—was also gerade die literarischen Schreibstrategien für die philosophische Erkenntnis austragen—nur andeutungsweise beantwortet wird.

Im zweiten Kapitel entwickelt Košenina die "kompositorische Logik" (37) der Sechs deutschen Gedichte, dem Könige von Preußen gewidmet als Spiel mit der Emblematik des aufklärerischen Lichts. Gerade vor dem Hintergrund der zu Beginn von Košenina vorgetragenen Einsicht, daß es in diesen Gedichten nicht allein um "Herrscherlob" sondern auch um eine "Ehrenrettung der Literatur" (39) geht, schiene es vielversprechend, die Ausführungen zur Sprache, die im Gedicht "Die Sprache" "selbst zum Gegenstand der Reflexion" (52) wird, zu vertiefen. Anregend, aber ebenfalls knapp, sind die Ausführungen zur Dimension der "Inszenierung" (46) bzw. der "Potentialität oder Virtualität" (47) im dritten Gedicht des Zyklus, "Das Manöwer."

Das dritte Kapitel untersucht Moritz' dramatischen Versuch Blunt oder der Gast, den Košenina auf erhellende Weise mit dem Genre der Fall- und Kriminalgeschichte in Beziehung setzt. Hier finden sich einige schöne Beobachtungen zur sprachlichen Verfaßtheit des Stücks—etwa die Bemerkungen zum "höchst modern[en]" Gebrauch des "grammatikalisch aktiven Es" (62) oder der Hinweis darauf, wie sich die Verwirrung des Täters in der Vielzahl der Gedankenstriche niederschlägt (66). Die "eigentliche Pointe" des Textes erkennt Košenina in der "konsequente[n] Gegenüberstellung einer Verbrechensdarstellung und deren phantastischer Umdeutung aus Sicht und Wunschdenken des Delinquenten" (72).

Die Reisen eines Deutschen in England stehen im Zentrum des vierten Kapitels. Košenina entfaltet auf elegante Weise das Zusammenspiel von Bewegungsart—dem Spazierengehen—, erzählerischer Perspektive und rhetorischer Stillage. Aus der sozialen Ausgrenzung, mit der sich der Spaziergänger auf seinen Reisen konfrontiert sieht, ergibt sich eine realistische Perspektive, die den "unvoreingenommenen [. . .] Blick" (73) auf sich selbst und die beobachtete Umwelt erlaubt. Den auf- und absteigenden Bewegungen durch die erzählte Welt korrespondiert dabei der Wechsel zwischen genus humile und genus sublime—eine Stilmischung, die Košenina auch an Hand von Zeugnissen aus der bildenden Kunst illustrieren kann (81ff.).

In den im fünften und sechsten Kapitel vorgetragenen Analysen legt Košenina Moritz' literarische Techniken auch in auf den ersten Blick weniger durchkomponi-erten Texten frei. Der Text etwa...

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