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  • Dialektik der postkolonialen Hybridität. Die intrakulturelle Überwindung des kolonialen Blicks in der Literatur
  • Birgit Tautz
Dialektik der postkolonialen Hybridität. Die intrakulturelle Überwindung des kolonialen Blicks in der Literatur. Von Jochen Dubiel. Bielefeld: Aisthesis, 2007. 357 Seiten. €39,80.

Der Titel der hier veröffentlichten, 2006 an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz angenommenen Dissertation läßt bereits erahnen, was Jochen Dubiels Ziel ist: Ganz allgemein geht es ihm sicherlich darum, das Verhältnis von Kultur- und Literaturwissenschaft zu beleuchten und die fortbestehende erkenntnisgewinnende Rolle der Literaturwissenschaften ausdrücklich einzumahnen (328–29). Im Besonderen ist er aber eher daran interessiert, den Bogen zu spannen (und letztlich wohl auch zu schließen) zwischen angloamerikanischen und kontinentalen, vor allem auch deutschen, Kulturtheorien, zwischen dem Denken in Kreisen, das sich im Spannungsfeld von Eigenem und Fremden auftut, und den Versuchen, das Eigene zu verfremden und damit dessen Dominanz zu problematisieren. Insgesamt ist Dubiels Versuch als gelungen zu betrachten; inwiefern LeserInnen ihn als wirklich innovativ ansehen, dürfte letztendlich auch davon abhängen, inwieweit sie mit den Nuancen der jeweiligen ideologisch, geographisch und historisch divergierenden Denktraditionen vertraut sind.

Dubiel versteht "postkolonial" zu Recht als Programm-, nicht als Epochenbegriff (21). Er strebt intrakulturelle hermeneutische Verfahrensweisen an, um den interkulturellen Diskurs aus der Befangenheit in Dichotomien (Eigenes versus Fremdes) zu lösen, die laut Dubiel die kolonialisierende Geste, den Blick, trotz postkolonialer Intention reproduzieren. Die im Eigenen verborgene Andersartigkeit—wohl dem nahe, was Lacan (der übrigens von Dubiel nicht erwähnt wird) als objet petit a bezeichnete—steht hier also im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses. Ausgehend von zahlreichen Modellen, die koloniale Machtverhältnisse beschreiben und unter denen von Bhabha und Said geprägte Ansätze (mit Rückgriff auf Freud) hervorstechen, bietet Dubiel zunächst einen Querschnitt weitverbreiteter Stereotypen der Kolonisierten (43–75), um dann bloßzustellen, wie schwierig es ist, im postkolonialen Diskurs der komplexen Logik der Furcht vor dem Anderen, seiner Usurpation und der Dichotomisierung [End Page 560] und Hierarchisierung von Eigenem und kulturell Anderem/Fremden zu entkommen (75–87). Anders ausgedrückt: postkoloniale Intention läuft Gefahr, (neo-)koloniale Machtverhältnisse festzuschreiben. Der postkoloniale Diskurs sieht sich mit dem "Problem der Repräsentation" (126–49) konfrontiert, dem Dubiel "intrakulturelle Hybridität" als poetologisches Verfahren (ab 150, vor allem 188–214) und als erkenntnisgewinnende Alternative entgegenstellt. Dabei setzt sich Dubiel ausführlich mit den Theorien der Hybridität und des Inter-/Intrakulturellen auseinander, letztendlich schlußfolgernd, daß jegliche auf affirmative Identitäten gegründete Kulturtheorie und Interpretationspraxis zu einem erkenntnistheoretischen und ästhetischen Engpaß führe. "Intrakulturelle Hybridität" dagegen könne der Logik des kolonialisierenden Blicks entkommen, da sie den Blick des Anderen quasi zum Teil des Eigenen macht; Hybridität steht somit nicht für eine Verbindung zweier Identitäten, sondern für die Aufnahme des Anderen ins Eigene, ohne es freilich wie bei Hegel dialektisch zu negieren, sondern vielmehr durch hermeneutischen Zirkelschluß als Anderes freizulegen. Obwohl der Titel des Buches eher die Nähe zu Hegel als zu Schleiermacher suggeriert, bezieht sich Dialektik aus der Sicht dieser Leserin auf die Verschränkung inter- und intrakultureller Machtverhältnisse und ihrer Darstellung im Text.

Das Buch trägt somit zur Theoriebildung des "postkolonialen Blicks" bei, ist aber gleichzeitig als Metadiskurs zu lesen, der vertraute und neuere Theorien und Ansätze miteinander und gegeneinander ins Spiel bringt. Das Verfahren des contrapuntal reading (215) nimmt dabei eine Vorrangstellung ein. Contrapuntal reading—oder wahlweise der von Dubiel wechselweise benutzte deutsche Begriff 'kontrapunktische Lektüre'—geht von der "transparenten Textintention" (216) aus und, so Dubiel, vermeide Spekulationen. Durch solche Lektüren gelinge es dem Leser, "die multiple Struktur des Textes [. . .] zu entschlüsseln"; der Leser dürfe bei einer angestrebten kontrapunktischen Lektüre "getrost mit dem Wissen um die Mechanismen des kolonialen und die Probleme des postkolonialen Diskurses an die Texte herantreten, muß sich aber davor hüten, es in sie hineinzulegen" (219).

Dieses Verfahren, das als Ansatz der Literaturanalyse im letzten Teil des Buchs (als bereits textimmanent in Werken wie z.B. Raabes Stopfkuchen angelegt) vorgestellt wird und auf einige literarische Werke angewendet wird, hat sicher auch bei Dubiels Auseinandersetzung mit dem vielschichtigen, oftmals kontrovers angelegten postkolonialen Diskurs Pate gestanden. So gesehen sind viele Aspekte...

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