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  • Macht. Performativität, Performanz und Polittheater seit 1990
  • Dagmar Jaeger
Macht. Performativität, Performanz und Polittheater seit 1990. Herausgegeben von Birgit Haas. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2005. 305 Seiten. €36,80.

In diesem Band versammelt die Theaterwissenschaftlerin Birgit Haas sechzehn Aufsätze, die sich mit der medialen Inszenierung der Politik, mit dem politischen Theater und der Darstellung von Macht und Machtstrukturen sowohl auf der Bühne als auch in den Medien befassen. In neun Essays wird in einem ersten Teil die Frage nach der virtuellen Demokratie gestellt und das damit verbundene alte/neue Dilemma diskutiert, ob eine durch die Medien inszenierte Politik den mündigen Bürger aufgibt und somit demokratische Prozesse unterläuft, oder ob die Medieninszenierung des öffentlichen Raumes gerade neue Chancen der politischen Mündigkeit eröffnet. Birgit Haas stellt hierzu ihre These zur Ausübung von Macht zur Debatte. Macht und Machtausübung, so Haas, werden weniger durch ihre Echtheit als vielmehr durch ihren visuellen Schein vermittelt. Darüber hinaus versucht sie durch den passenden Begriff performance das Zusammenspiel und die Überlappung von Kultur, Politik und imitiertem Spiel oder Rollenspiel besser zu fassen.

In der gekonnten medialen Selbstinszenierung sehen die Beiträge zu Politikern wie beispielsweise Silvio Berlusconi, George W. Bush und Arnold Schwarzenegger die Überschneidung von Politik und Performanz. Durch die mediale Zur-Schau-Stellung von Macht, Männlichkeit und Mode wird nicht nur die politische Konkurrenz außer Gefecht gesetzt, sondern werden auch politische Konzepte oder politische Argumentation ins Unwichtige und Verschwommene geschoben. In ihrem interessanten Aufsatz zu Schwarzenegger stellt Barbara Kertai die Frage, wie sich Schwarzenegger [End Page 596] bei den Wahlen zum Gouverneur Kaliforniens 2003 mittels Medien vom Hollywood-Muskelmann zum legitimen politischen Kandidaten wandeln konnte. Sie analysiert, wie Schwarzenegger Mythen bemüht, so zum Beispiel den Mythos des armen Einwanderers und den des Helden, der eine gute Tat vollbringt, um von seiner fehlenden politischen Erfahrung abzulenken. Kertai verdeutlicht die Gefahren einer Politik, die sich immer mehr durch ein Zusammenspiel von Politik und Popkultur kennzeichnet; sie weist in ihrem Beitrag jedoch auch darauf hin, daß die Qualität einer Demokratie sich verbessert, wenn sie auf medienliteraten Zuschauern und politisch und moralisch verantwortungsbewußten Medien fußt.

Der zweite Teil des Buches befaßt sich mit Macht und dem politischen Theater. David Barnett führt in seinem Beitrag vor, wie das zeitgenössische Theater von Albert Ostermaier, Oliver Czeslik und René Pollesch die von den Medien konsolidierte Wirklichkeitswahrnehmung unterwandert und herausfordert. Des weiteren grenzt Barnett in seinen Ausführungen diese Theatertexte zum postdramatischen Theater ab. Weitere Beiträge behandeln u.a. die Frage nach der Inszenierung von Weiblichkeit und Machtstrukturen in den Theaterstücken von Sarah Kane und Dea Loher; die Geschichte des GRIPS Kindertheaters in Berlin spiegelt dem Germanisten Gerhard Fischer zufolge die Sozial- und Kulturgeschichte Berlins wider.

Weniger überzeugend ist der Beitrag zum politischen Theater des 21. Jahrhunderts, in dem die Autoren dem zeitgenössischen Theater seine politische Tragfähigkeit absprechen, da sie keine Parallelen zwischen dem Gegenwartstheater und dem politischen Theater Erwin Piscators aufstellen können und vielmehr das expressionistische Theater des frühen 20. Jahrhunderts heranziehen, um aktuelle Dramatik zu beschreiben. Hierbei wird außer acht gelassen, daß das zeitgenössische Theater andere Akzente setzt als das Theater der 10er und 20er Jahre des letzten Jahrhunderts; diese Vergleiche hinken zwangsläufig. Die Akzente des zeitgenössischen Theaters beziehen sich hauptsächlich und vor allem auf das Aufbrechen eines von den Medien konsolidierten Wahrnehmungsmodus und lassen sich nicht als Indiz dafür nehmen, daß es das Theater von heute ablehnt oder nicht in der Lage ist, schwer verstehbare kausale Zusammenhänge zu durchleuchten.

Der Sammelband ist für Theaterwissenschaftler wie für die Medienforschung gleichermaßen von Interesse, zeigen doch viele Aufsätze die Überschneidung von Performanz, Politik und Theater. Der hier entstehende neue Fokus auf den theatralischen Charakter der Politik sowie auf zeitgenössische Theaterformen ist lesenswert.

Dagmar Jaeger
Massachusetts Institute of Technology
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