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  • Robert Musil. Essayismus als Selbstrefl exion der Moderne
  • Thomas Sebastian
Robert Musil. Essayismus als Selbstrefl exion der Moderne. Von Birgit Nübel. Berlin, New York: de Gruyter, 2006. xii + 534 Seiten. €118,00.

Die von Robert Musil über einen Zeitraum von etwas mehr als zwei Jahrzehnten verfaßten Essays, Buchbesprechungen und Theaterkritiken werden von der Forschung in der Regel nur als Nebentexte des Dichters und Erzählers in Betracht gezogen. Birgit Nübel nimmt sich hingegen diese Texte einmal als Beispiele eines Genres vor, dem schon bei Montaigne nachgesagt werden kann, daß es für die Moderne konstitutive Bedeutung hat. Es handelt sich bei ihrer Studie um eine breit angelegte Habilitationsschrift, die sich mit dem essayistischen Schreiben unter den Gesichtspunkten "Metatextualität" und "Intertextualität" befaßt. Nübel hofft mit Querschnitten, die sie an den Texten vollzieht, die von ihr ins Auge gefaßten Phänomene derart veranschaulichen zu können, daß trotz des ausdrücklichen Verzichts auf eine systematisch ausgearbeitete Theorie ein Beitrag zur literaturwissenschaftlichen Klassifizierung des Essays entsteht. Bei der Herausarbeitung analytischer und deskriptiver Kriterien orientiert sich die Verfasserin an den Selbstaussagen der Metatexte—Essays, welche das essayistische Denken und Schreiben zum Thema machen. In diesem Zusammenhang werden von ihr insbesondere die einschlägigen Thesen von Theodor Adorno und Max Bense noch einmal ins Feld geführt. Darüber hinaus setzt sich die Verfasserin auch ausführlich mit der Essayistik von Georg Simmel und Georg Lukács auseinander, deren wirkungsgeschichtliche Bedeutung für Musil zudem bisher noch kaum untersucht worden ist.

Die von Musil veröffentlichten Essays nimmt sich Nübel jeweils einzeln vor und stellt an jedem von ihnen einen zentralen Aspekt des essayistischen Schreibens heraus. Sie legt besonderen Wert auf die Feststellung, daß der Essay keineswegs, wie es sich in der literaturwissenschaftlichen Forschung eingebürgert hat, der Kategorie "nicht-fiktionaler Zweckformen" unterzuordnen ist. In analoger Weise zum "lyrischen Ich" beim Gedicht kann vielmehr auch beim Essay von der Idee eines strukturell implizierten "essayistischen Ich" ausgegangen werden. Das "essayistische Ich" manifestiert sich jedoch als das gespaltene Subjekt eines Schreibens, welches—so muß man die Verfasserin wohl verstehen—den Versuchen seiner selbstbezüglichen grammatischen und semantischen Identifikationen uneinholbar vorausgeht. Im Hinblick auf diesen Befund, der, wie mir scheinen will, eines der wichtigsten Ergebnisse dieser an originellen Einsichten reichen Studie darstellt, folgt man gespannt dem Fortgang der Untersuchung. Es kommt Birgit Nübel darauf an, die dialogische Intention, der beim Essay schon immer eine wesentliche Bedeutung zugemessen wurde, nicht bloß formal als ein stilistisches Moment des Genres, sondern direkter an der poetischen [End Page 425] Verfahrensweise des essayistischen Schreibens herauszustellen. Dazu hat sie sich als mögliche Quellentexte für Musils Essays die Schriften von Béla Balázs, Franz Blei, Hermann Broch und Alfred Kerr genauer angesehen. Indem sie die ursprünglichen Publikationskontexte und relevantes biographisches Material aufarbeitet, gelingt es ihr zu zeigen, daß sich sämtliche Texte, die der Essayistik des Autors zugerechnet werden können, auf vielfältige Weise mit den Schriften seiner literarischen Gefährten und Konkurrenten "vertexten."

Die in diesem Zusammenhang von Nübel sorgfältig herauspräparierten Allusionen und Interferenzen, Fortschreibungen und buchstäblichen Einverleibungen liefern einen anschaulichen Beweis für ihre These, daß die "interdiskursive Traversion" ein fundamentales Prinzip des essayistischen Schreibens darstellt. Dennoch möchte man der Verfasserin nur zögernd bescheinigen, daß es ihr gelungen sei, den kategorialen Unterschied ihrer Lektüre zum traditionellen philologischen Kommentar evident zu machen. Dadurch, daß man beispielsweise die unveröffentlichte Erstfassung eines Textes als einen "auto-intertextuellen Prätext" von seiner autorisierten Endfassung unterscheidet, hat sich im Grundsätzlichen noch nichts geändert (446). Zugegeben: Nübel arbeitet sich an dem schwierigen und wahrscheinlich unauflösbaren Problem ab, einen Standpunkt zu beziehen, der die intuitiven Begriffe der Hermeneutik ebenso wie die positivistischen Reduktionen der Diskursanalyse überwindet. Der methodologische Synkretismus aber, mit dem sie dabei das brisante, bekanntlich schon die Frühromantiker faszinierende Phänomen selbstbezüglicher Texte, die als allegorische Figuren ihrer Poetik und ästhetischen Rezeption gelesen werden können, in den Griff zu bekommen versucht, dürfte selbst von wohlwollenden Lesern nicht immer nachzuvollziehen sein.

Es irritiert besonders, daß ihren Ausführungen nicht eindeutig entnommen werden kann, wie die wiederholt...

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