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Reviewed by:
  • Goethe's Faust and European Epic: Forgetting the Future
  • Franz R. Kempf
Goethe's Faust and European Epic: Forgetting the Future. By Arnd Bohm. Rochester, NY: Camden House, 2007. xii + 276 pages. $75.00.

Arnd Bohm untersucht in der vorliegenden Monographie Goethes kritische und phantasievolle Aneignung der epischen Tradition. Da diese Aneignung radikal ist, bedarf es einer minutiösen archäologischen Ausgrabung, um die epischen Spuren aufzudecken [End Page 411] und die intertextuellen Verbindungen herzustellen. Das ist das große Faszinosum, das von dieser Studie ausgeht und den Leser in den Bann schlägt. Auf Schritt und Tritt spürt man das intellektuelle Vergnügen am Entdecken, das epiphanische Glücksgefühl, das sich einstellt, wenn sich z.B. der 13. Gesang von Dantes Inferno als ein Schlüssel zum Verständnis von Faust entpuppt.

Was macht Faust, und nicht etwa die oft als solche reklamierten Hermann und Dorothea und Reineke Fuchs, zu einem Epos? Angesichts von Goethes subversivem Umgang mit der epischen Tradition wagt sich Bohm nur in inhaltlicher Hinsicht auf die definitorischen Äste hinaus. Es gibt "an epic hero (Faust), a villain (Mephistopheles), a quest (to know all things), a sublime conflict (good versus evil), a love story (via Helen of Troy), and elasticity (all arts and sciences, all of history and geography)" (3). Da es ihm vor allem um Letzteres, d.h. um das Enzyklopädische am Epos geht, sei der geneigte Leser vorgewarnt: seine Bibliographie hat epische Proportionen. Fast 700 Primär- und Sekundärwerke bilden die Grundlage von Bohms paradoxerweise makro- und mikroskopischer Eruierung von Faust als Epos—makroskopisch, weil er kein vor-Goethesches Epos außer acht, ja sich sogar auf Scharmützel der Epos-Exegeten einläßt; mikroskopisch, weil dieses enzyklopädische Wissen 'nur' auf eine Szene, nämlich auf "Auerbachs Keller" angewendet wird. Das einzige, was am Schluß an dieser Szene ungeklärt bleibt, ist die Identität von "Herrn Hans von Rippach" (223).

Wer bisher dachte, "Auerbachs Keller" handle von den unflätigen Trinkritualen Leipziger Studenten, deren diabolischer Düpierung durch Mephistopheles und Fausts verständlichem Angewidertsein, der wird von Bohm eines besseren belehrt: "Faust's non-reaction, often praised as a sign of a healthy scepticism, is actually an indictment of someone who stands baffled and unmoved in the presence of extraordinary events" (218). Was Faust in Mephistopheles' meisterhaft inszeniertem Kellertheater erkennen sollte, sind "topics in theology, medicine, science, and history" und "key places in the Bible and in texts by writers such as Tasso, Ariosto, Dante, Virgil, and Homer" (218). Der Grund für Fausts Vergeßlichkeit ist, laut Bohm, seine Krankheit: Er ist Melancholiker und als solcher leidet er an Gedächtnisschwund. Die Krankheit rettet ihn vor Verdammung und stellt ihn göttlicher Gnade anheim (218, 99).

Unter den topoi steht die Geschichte im Vordergrund. So wie der epische Dichter vor Goethe auf die Vergangenheit zurückgreift, um seine Gegenwart zu verstehen, so setzt sich Goethe in Universalgelehrtenmanier mit dem 16. Jahrhundert auseinander. "Auerbachs Keller" ist eine Art theatrum mundi, in dem die Zwistigkeiten und der Verfall des Heiligen Römischen Reiches aufgeführt werden—vergleichbar dem 13. Gesang des Inferno, in dem Bohm eine "demonstration of life in a domain torn by civil unrest" sieht (82, 132). Zum 16. Jahrhundert gehören auch die in "Auerbachs Keller" inszenierten theologischen, wissenschaftlichen und medizinischen Kontroversen, die sich hinter Mephistopheles blasphemisch-parodistischem Feuertrick, Weinwunder und Traubenzauber verstecken und in denen Echos aus der epischen Tradition anklingen (erwähnt seien hier nur das Motiv der "blutenden Bäume" im Inferno, Orlando Furioso, oder Gerusalemme liberata, die Polydoros- und Lykurgos-Episoden in der Aeneis und Ilias, oder der Komplex von Origines, Kastration und Bibel). Wem diese Echos tönern vorkommen, der dürfte sich der Überzeugungskraft von Bohms eingehendem Vergleich von Dürers Holzschnitt Männerbad mit "Auerbachs Keller" nicht entziehen. Demnach sind die Trunkenbolde mit ihren vermeintlich aus Studentenverbindungen entlehnten Spitznamen nichts anderes als symbolische Verkörperungen der [End Page 412] weitverbreiteten Temperamentenlehre—und zwar bis in Gestik, Sprache und Gesang hinein. Auch das Namenrätsel läßt sich mit Hilfe der humoralen Medizin lösen. So untersteht zum Beispiel Siebel als Melancholiker dem damals als siebtem Planeten geltenden...

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