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MLN 122.3 (2007) 544-562

Namen nehmen Zur Theorie des Namens bei Carl Schmitt
Thomas Schestag
Northwestern University

Welchen Status hat ein Wort? Hier das Wort Staat? Wer steckt das semantische Feld eines Wortes ab, wer bestimmt die Eigentlichkeit seiner laut- und schriftbildlichen Form, und wer beglaubigt die natürliche oder konventionelle Richtigkeit solcher Grenzziehungen, Bestandsaufnahmen und Übersetzungen wandelbarer Formen in unwandelbare Normen? Wer zeichnet für das Auftauchen und Verschwinden, wer für die ein oder andere Gestalt, den so oder so oder anders gefaßten Gehalt eines Wortes verantwortlich, und vor wem? Wer verfügt, und mit welchem Recht, ein Wort zum Wort der einen oder andern, eignen oder fremden Sprache? Wer stempelt ein Wort zum staatstragenden oder staatenlosen? Wer überhaupt zeichnet ein Wort als Wort aus? Als Wort, beispielsweise, das im Anfang war? Wer stellt die unumstößliche Bedeutung eines Wortes—hier Staat—fest? Und wer die Verletzung seiner Unumstößlichkeit? Wo—und wann genau, in welchem Augenblick—geht, wenn der Status eines Worts—hier das Wort Staat—infrage steht, das entstehende ins entstandene Wort über; wann ist dieser Übergang abgeschlossen und das Wort zustandgekommen? Wann genau der Staat? Diese Fragen, aus dem Niemandsland zwischen rechtswissenschaftlichen und sprachtheoretischen Erörterungen, greift Carl Schmitt 1914 an einer Stelle im zweiten Kapitel—Der Staat—seines Buchs Der Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen auf. Ihr entspringen die folgenden Vorüberlegungen zur Theorie des Namens bei Carl Schmitt.

Ausgehend von der staatsrechtlichen Grenzfrage nach dem Verhältnis von Recht und Staat—im Rechtsstaat—stößt Schmitt auf die [End Page 544] Schwierigkeit, den semantischen Kern dessen, "was in der Welt der Tatsachen mit dem Namen 'Staat' belegt wird"1 , zu fassen, und schließt einen Hinweis auf die Labilität nicht nur des Wortes Staat, sondern der Wort- und Zeichensprache überhaupt an:

"Der verwirrende Wirbel von Assoziationen, die sich an ein Wort anknüpfen, kann nicht aus sich selbst heraus das ordnungschaffende Prinzip gebären, das dem Begriff die nötige Festigkeit verleiht, damit er überhaupt verwendbar werde. Freilich liegen in jeder sprachlichen Benennung viele und wichtige Hinweise, die Sprache ist mehr als ein rein biologisches Werkzeug, ein Mittel zur Verständigung, das dem Menschen nichts anderes bedeutete, als etwa dem Hunde sein ausgebildeter Geruchsinn. Jedes Problem nimmt mit der Erforschung jener Relationen und Andeutungen seinen Anfang. Die Methode aber, die exakt den Sprachgebrauch feststellen will, um einen wissenschaftlichen Begriff dadurch zu gewinnen, verkennt gerade die Bedeutung der Sprache und achtet sie nur als Faktum, wie jedes andere Faktum".2

Kein Wort, so besagt diese Auskunft, ist de facto eines, eins mit sich selbst, kein Wort ist feststehendes Gebilde, sondern tropische Erscheinung, die einen "verwirrende[n] Wirbel von Assoziationen" auslöst, der außerstande bleibt, dem Wort jene begriffliche Festigkeit zu verleihen, die es verwendbar machte für seinen Gebrauch als Mittel der Mitteilung. Aus der tropischen Faktizität der Sprache bleibt ihr instrumenteller Charakter unableitbar. Darin gleicht die ungreifbare Tatsächlichkeit des zum Wort unfeststellbaren Worts der materialen Singularität des Menschen, die Schmitt an einer andern Stelle derselben Schrift, wie das Wort, unter der Wendung vom Wirbel wahrnimmt:

"Das leibliche konkrete Individuum ist, wenn die Betrachtung sich nicht über die materielle Körperlichkeit erhebt, eine gänzlich zufällige Einheit, ein zusammengewehter Haufen von Atomen, dessen Gestalt, Individualität und Einzigkeit keine andere sind, wie die des Staubes, der vom Wirbelwind zu einer Säule gefügt wird".3

Zur Wirbelsäule. De facto ist jedes Wort mehr und weniger als ein Wort, de facto geht kein Mensch ohne Rest in der Auslegung zum Menschen (als Bestandteil und Träger eines Gattungsganzen) auf. Jedes tatsächliche Wort, jedes Wort in concreto et actu—und gleichsam in carne—unterbricht, im Augenblick seiner Anwendung, den [End Page 545] instrumentellen Gebrauch, dem es dient, und zerschlägt, im Augenblick seines Zustandekommens, das Milieu kommunikativen Handelns: vom Wort, indem es zur Sprache und zu Wort kommt, geht die größte Bedrohung für das Wort aus, das die Kontur begrifflicher Festigkeit annimmt. Wie aber...

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