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Reviewed by:
  • Der versteckte Fontane und wie man ihn findet
  • Christiane Arndt (bio)
Paul Irving Anderson, Der versteckte Fontane und wie man ihn findet. Stuttgart: S. Hirzel Verlag, 2006. 284 pages.

Das Versteck, in dem Paul Irving Anderson Fontane findet, ist dessen literarisches Werk. Genauer gesagt trägt die Studie „Der versteckte Fontane und wie man ihn findet" Details aus Fontanes Leben zusammen, von denen Anderson annimmt, dass dieser sie seinen Romanen und Novellen als Rätsel eingeschrieben hat: „Sagen wir es so: er wollte sein Publikum rätseln lassen; das gelingt am besten, wenn man eine eindeutige Lösung hat und sie verheimlicht. Diese konnte erst nach seinem Tod bekannt werden, d.h., dazu mußte er unsterblich werden." (99) Dieses Rätsel zu lösen ist Andersons Ziel.

Dabei zeigt die Studie informative Zusammenhänge auf, die eine genaue Kenntnis der Geschichte des 19. Jahrhunderts voraussetzen. Insbesondere das detaillierte Wissen um Familienzusammenhänge zieht überraschende Schlüsse zum Werk Fontanes nach sich, so zum Beispiel die Feststellung, dass Fontane für das Nixenmotiv Undine und Melusine unterschieden und deren Symbolgehalt weiterhin über die Familienzugehörigkeit zu Fouqué verschiedenen Figuren seiner Romane zugewiesen hat. Zu diesen Figuren gehört unter anderem Effi Briest (105). Auch am Schluss, wenn er die Namen der beiden weiblichen Hauptpersonen des Stechlin, Melusine und Adelheid, von den Namen der Familie von Pfuel ableitet (270), greift Anderson mit der Darstellung von Fontanes Besuch bei von Pfuels auf detailliertes Geschichtswissen zurück.

Die von den literarischen Texten ausgehenden Erkenntnisse der Untersuchung führen für Anderson direkt oder indirekt zur Person und zum Leben Fontanes. Auf diese Weise wird dessen Biographie neu geschrieben und das Werk in einen weiten historischen Zusammenhang gerückt. Trotz einer Deutung des Werks, die auf einer Untersuchung von Fontanes Leben, genauer auf dessen bewusste und unbewusste Beweggründe für das Verfassen seiner Texte basiert, distanziert sich Anderson von etwaigen Biographismusvorwürfen: „Sollte man den Vorwurf des Biographismus erheben, müßte ich ihn an Fontane weiterleiten." (99) Zu diesem Punkt schreibt Anderson weiter:

„Mein Leser könnte einwenden, die Frage nach illegitimen Kindern habe mit dem ästhetischen Erlebnis der Dichtung nichts zu tun; damals ginge sie nur Theodor Fontane an, heute nur seine Biographen! Daß der biographische Ansatz nur einer von vielen ist, räume ich gerne ein, doch den Vorwurf des Biographismus weise ich ab. Ein Dichter ist erst einmal ein Mensch, der mit der Phantasie arbeitet, und daher kann es nicht irrelevant sein, wie er diese pflegt und einsetzt. Das war und bleibt zu allen Zeiten so."

(198)

Auch die Hermeneutik als Lesehaltung lehnt der Verfasser vehement ab, wie er wiederholt betont. Dies sei, so Anderson, auch im Sinne Fontanes: „Reine Werkimmanenz setzt Fontane Scheuklappen auf; Hermeneutik ist eine Peitsche, der er nicht gehorcht." (114) In Abgrenzung von Hermeneutik und Biographie stellt sich die Studie als kriminalistisch anmutende Ermittlung [End Page 668] in einem historischen Fall dar: „Wenn es darum geht, Fontanes Prosa zu interpretieren, ist Historie allemal nützlicher als Hermeneutik." (109) Auch das technische Vokabular weist in diese Richtung, so spricht der Autor von „kniffligen Problemen", die es zu lösen gilt (99), von „Indizienbeweisen" (9) und von einem „Beweisnetz". Es gelte, Fontanes „Beichte aus dem Jenseits" (99) zu entschlüsseln. Ganz allgemein geht es in der Untersuchung darum, den Weg zurückzuverfolgen, den Fontanes Quellen und Informationen in seinem Werk gegangen sind, denn „dieser Weg ist Fontanes Denkbewegung und daher unser Ziel" (114). In erster Linie sind es zwei große Geheimnisse, die die Studie in Fontanes Werk offen legt:

„Die Indizien scheinen zu besagen, daß es zwei große persönliche Geheimnisse in den Nebentexten von Fontanes Romanen gibt: erstens, die Abbitte für seine verratene Dresdner Tochter, und zweitens, die Organisation, Planung und Verklärung—viele Begriffe passen dazu—seines Abgangs aus dem Leben, seines in jeder Hinsicht erzählkunstvolles Sterbens."

(241)

Die Methodik des Versteckspiels findet Anderson bei Fontane selbst beschrieben: Das erste Kapitel des Buches behandelt den poetologischen Ansatz anhand von Meine Kinderjahre. Der Text enthält einen Abschnitt zum Versteckspiel, der die „Tragweite des Versteckspiel-Prinzips als Grundformel der poetologischen Arbeit" (54) Fontanes offenlege und den Anderson daher als dessen Poetologie...

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