In lieu of an abstract, here is a brief excerpt of the content:

Reviewed by:
  • Von der Unzerstörbarkeit des Menschen. Ingeborg Drewitz im literarischen und politischen Feld der 50er bis 80er Jahre
  • Gabrijela Mecky Zaragoza
Barbara Becker-Cantarino und Inge Stephan, Hrsg. Von der Unzerstörbarkeit des Menschen. Ingeborg Drewitz im literarischen und politischen Feld der 50er bis 80er Jahre. Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik Band 10. Bern: Lang, 2005. 441 S. € 45,50 (Paperback). ISBN 3-03910-429.

Dieser Band ist eine Hommage für eine Frau, die das politisch-kulturelle Leben im Nachkriegsdeutschland wie kaum eine andere geprägt hat: Ingeborg Drewitz. Er geht auf eine Tagung in Berlin zurück, die im November 2003 von der Ohio State University und der Humboldt-Universität organisiert wurde. Schon Drewitz' Foto auf dem Cover fesselt den Blick des Lesenden – zumal dieser Blick auch auf das darunter angegebene Bandmotto aus einer Rezension zu Solschenizyns Krebsstation fällt: Von der Unzerstörbarkeit des Menschen. Diese utopische Formel leitet zur Auseinandersetzung mit ihrem Lebenswerk ein, das in diesem Band kritisch re-konstruiert wird. Die fünfundzwanzig Beiträge zeichnen sich durch zweierlei aus: ihre Interdisziplinarität und Multikulturalität, die ein differenziertes Bild von Dre-witz' Leben und Werk entstehen lassen, und ihre systematische Akribie, mit der eine Vielzahl unbekannter Quellen themenspezifisch aufgearbeitet wird.

Im ersten Teil geht es um Facetten von Drewitz' vita activa. Den gelungenen Auftakt bildet Barbara Becker-Cantarinos Beitrag zu ihrem frauenpolitischen En-gagement. Schon hier zeigt sich – der Fall Drewitz ist komplex. Denn einerseits ist ihr Frauenkonzept trotz einiger sozialer Komponenten biologisch fundiert und begünstigt einen Relations-Feminismus, andererseits macht sie in ihren Arbeiten nicht nur weibliche Erfahrungsbereiche sichtbar, sondern setzt sich zeitlebens für Frauen ein. Aber nicht nur für Frauen. Marianne Vogel weist nach, dass sich Drewitz aus einem politischen, autobiographischen und literarisch-strategischen Interesse heraus in vielfältiger Hinsicht mit der deutschen Exilproblematik befasst: durch ihre Förderung von ExilautorInnen etwa oder ihre Rezensionstätigkeit, die Mauern überwindet, auch Gefängnismauern. Während es Nicola Kessler neben einer Einführung in die Funktion von Gefangenenliteratur um Drewitz' zahlreiche Aktivi-täten für Gefangene geht, widmet sich Sabine Boshamer verstärkt der Frage nach den [End Page 91] persönlichen Motiven einer Autorin, die als Mittlerin zwischen gesellschaftlichen Randgruppen und dem Literaturbetrieb fungiert.

Helmut Peitsch macht diesen Habitus der Vermittlung für ihre erfolgreiche Mitarbeit im P.E.N. verantwortlich und illustriert dies anhand zweier Konflikte: des Berufsverbots und der Friedenspolitik. Dieser Habitus kommt ihr aber nicht immer zugute. Eingebettet in Bourdieus Theorie zeigt Markus Joch, dass Drewitz mit ihrer Kandidatur um den Vorsitz auf der Delegiertenkonferenz des Schriftstellerverbandes im April 1984 vor allem deshalb scheitert, weil hier androzentrische Schwerkräfte am Werk sind, die zur Marginalisierung weiblicher Akteure führen. Ähnliches gilt für ihre Beziehung zur Gruppe 47, sind es nach Gregor Eppinger doch auch in diesem Fall nicht nur weltanschauliche Fragen, sondern die Selektionsmechanismen einer männerdominierten Gruppe, die ihre Aufnahme verhindern.

Ihr Vermittlungshabitus ist indes in anderen, außenpolitischen, Bereichen erfolg-reich. Dorothea Dornhof weist überzeugend nach, dass kulturelle Produktionen, insbesondere ihre eigenen Publikationen, öffentlichen Stellungnahmen und Buch-besprechungen, für Drewitz Probierfelder der Annäherung im deutsch-deutschen Verhältnis sind, was von der Stasi misstrauisch registriert wird. Auch zu Polen hat sie eine besondere Beziehung, wie Marion Brandt belegt. Anders als Brandts Titel zunächst suggeriert, finden die Kontakte zu polnischen Intellektuellen aber meist in institutionellen Rahmen statt.

Im zweiten Teil geht es um "Themen und Stellungnahmen." Drei Beiträge be-schäftigen sich mit der deutschen Vergangenheitsbewältigung. Hans-Gerd Winter zeigt auf, dass Drewitz in ihren Texten der fünfziger Jahre Schuld- und Opferfragen kritisch durchspielt: Denn nicht nur das Mitfahren beim, sondern auch das Abspringen vom Karussell, einer Faschismus-Metapher, endet häufig in der persönlichen Kata-strophe, wie im Fall des guten Lagerkommandanten in Drewitz' frühem KZ-Drama Alle Tore waren bewacht, das Gaby Pailer nun aus vergleichender Perspektive analy-siert. Ihr Fazit fällt zwiespältig aus: Zwar leiste Drewitz in der Thematisierung des Holocausts Pionierarbeit, doch sei ihr Versuch problematisch, ein Todeslager mit den Mitteln des Illusionstheaters darzustellen. Dies ist sicherlich ein Grund, warum Drewitz der Schuldfrage auch in...

pdf

Share