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Reviewed by:
  • Ansteckende Wörter. Repräsentationen von AIDS
  • Jessica Hamann
Brigitte Weingart . Ansteckende Wörter. Repräsentationen von AIDS. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2002. 313 S. Euro 12 (Paperback). ISBN 3-518-12250-9.

In den 80er Jahren hat die AIDS-Krise auch eine "Bedeutungsepidemie" ausgelöst. Brigitte Weingart untersucht den Diskurs über AIDS aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive und analysiert die Zuschreibungen und Topoi, die sich über die verschiedenen Diskursgrenzen hin-weg ausgebreitet haben. Ausgehend von AIDS, als einen Schauplatz von Grenzverhandlungen, werden damit verbundene gesellschaftliche Probleme wie Homophobie, Rassismus und Sicher-heitsdenken in der Risikogesellschaft diskutiert. Die Unterscheidung von Eigenem und Fremdem lässt sich vom einzelnen auf den kollektiven Körper übertragen und wird in der Figur des Virus explizit, der einerseits als phobisches Objekt und andererseits auch mit Faszination betrachtet wird. Der Virus als Fremdkörper zirkuliert zwischen den Diskursen und stellt vor allem für die natürlichen Grenzen von Organismen eine potentielle Gefahr dar.

Nachdem die Autorin den Diskurs über AIDS als Schauplatz von Grenzverhandlungen beschrieben hat, beschäftigt sich das zweite Kapitel mit AIDS als Metapher und der Frage nach einer adäquaten literarischen Repräsentation von AIDS. Der Terminus AIDS-Literatur spricht dabei deutlich dafür, dass entgegen vielen Mutmaßungen AIDS inzwischen literarisierbar ist. Allerdings zieht die literarische Verarbeitung von AIDS immer wieder eine Verbindung zwischen Homosexualität und Krankheit (bzw. Tod) und Promiskuität. Die Frage nach guten oder schlechten Wörtern und Metaphern bleibt dabei nicht definitiv entscheidbar, sondern stets kontextabhängig.

Im nächsten Kapitel widmet sich die Autorin dann der Rolle der deutschen NS-Vergangenheit im Diskurs über AIDS. Die in der Kollektivsymbolik der Nazi-Ideologie verankerte Vorstellung eines "Volkskörpers" verweist dabei auf die Politisierung von Krankheiten, die vor allem auch mit den Begriffen der "Hygiene" und der "Säuberung" in Verbindung steht. So stehen auch die Forderungen nach Zwangstests, Kennzeichnung und Isolation von Menschen mit AIDS in di-rekter Relation zur deutschen Vergangenheit.

Eine AIDS-Politik, die auf den Schutz des "Volkskörpers" abzielt, hat sich allerdings in Deutschland nicht durchgesetzt. Die Rede von der Gefahr der Ansteckung wurde vielmehr hin zu einem Risiko verschoben, dem das Subjekt ausgesetzt ist und somit in den Bereich der indi-viduellen Kompetenz verlagert. Deutlich wird dies an Kampagnen, die zwar von einer Gefahr ausgehen, allerdings auf individuelle Vorsichtmaßnahmen aufmerksam machen und dadurch Gefahr in ein persönliches Risiko umcodieren. AIDS-Prävention hat somit eine Normalisierung von AIDS zur Folge und und trägt außerdem zu einer vermehrten Diskursivierung von Sexualität im Foucaultschen Sinne bei.

Die Autorin untersucht exemplarisch die Repräsentationen von AIDS in Literatur, Film und öffentlicher Diskussion auf virale Strategien und parasitäre Verfahren. Sie stellt dar, wie sich der vorhandene Diskurs in diesen Medien weiterproduziert. So zeigt sie AIDS als Thema "in-fektuöser [End Page 445] Kommunikation" in Klatsch und Gerüchten, apokalyptischer Rede bei Hubert Fichte und beschreibt die Repräsentation von AIDS in Parodie und Dokumentation in Filmen von Rosa von Praunheim und Herbert Achternbusch. Auch AIDS-Romane werden thematisiert und Kritik an James Millers Foucault-Biographie geübt, der dessen Leben und Werk sensationslustig verschaltet.

In Bezug auf den AIDS-Roman stellt die Autorin fest, dass die Romantisierung der Krankheit in Form des Klischees vom kranken Genie schon lange literarisch verarbeitet wird. Diese latenten Bilder werden auch in der AIDS-Romantik aktualisiert. Die häufig kritisierte Ästhetisierung von AIDS führt zu einem Aufleben des Genres der Pathographie und der populären Verbindung von "Genie und Wahnsinn" (253). Der konstruierte Zusammenhang zwischen Kunst und Krankheit wird im AIDS-Diskurs vor allem dann deutlich, wenn AIDS nicht mehr nur als Krankheit der Anderen gezeichnet wird, sondern vor allem als Krankheit der "Außerordentlichen" (wie im Fall von Millers Foucault-Biographie). Am "Fall Foucault" zeigt die Autorin das anhaltende Durchsetzungsvermögen von normalisierenden Dispositiven, die die Trennung von den Anderen weiter verstärken und Begriffe wie "Normalität" und "Abweichung" reproduzieren (274).

Als aktuelles Beispiel des deutschen AIDS-Romans setzt sich die Autorin dann mit Irene Disches Roman Ein fremdes Gefühl von 1993 auseinander. Der Roman, der die Geschichte eines an AIDS erkrankten Deutschen erzählt, ist gleichzeitig eine...

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