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  • Kategorische und andere Imperative: Zur Entwicklung von Kants praktischer Philosophie his 1785
  • Heiner F. Klemme
Clemens Schwaiger . Kategorische und andere Imperative: Zur Entwicklung von Kants praktischer Philosophie his 1785. Forschungen und Materialien zur deutschen Aufklärung. Hrsg. von Norbert Hinske und Clemens Schwaiger. Abt. 2, Monographien, vol. 14. Stuttgart-Bad Cannstatt: frommann-holzboog, 1999. Pp. 252. Cloth, DM 88.00.

Diese Studie zur Entwicklungsgeschichte der praktischen Philosophie Kants, die den Zeitraum von 1762 bis zur Publikation der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten untersucht, orientiert sich an der in Abschnitt II der Schrift von 1785 vorgenommenen Einteilung aller Imperative in problematische, assertorische und apodiktische. Da diese Einteilung in besonderem Maße geeignet ist, "die Architektonik von Kants praktischer Philosophie insgesamt zu erhellen" (S. 19), wird man durch den behutsamen Nachvollzug ihrer Ausdifferenzierung erwarten dürfen, neue Einsichten in die Entwicklung von Kants Denken zu gewinnen. Damit ist für den Interpreten keine leichte Aufgabe gestellt. Ohne philologische Umsicht, breite Kenntnis der zeitgenössischen Literatur, des Kantischen Oeuvres und der internationalen Sekundärliteratur sowie ein Gespür für Fragen der Datierung und Gewichtung von Kants Reflexionen und den studentischen Nachschriften seiner Vorlesungen, ist ein derartiges Unterfangen von vornherein zum Scheitern verurteilt. Schwaiger verfügt über diese Fähigkeiten und Kenntnisse.

Nach einer informativen Einleitung, in der Stellung bezogen wird zum Stand der Forschung, der Kantischen Dreigliederung der Praxis als dem Leitfaden der Untersuchung, zur Methodik und den erzielten Ergebnissen, wendet sich Schwaiger in Teil I zunächst Kants moralphilosophischen Texten bis einschließlich 1770 zu. Mit Blick auf die 1762 verfasste und 1764 publizierte Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral weist Schwaiger den entscheidenden Einfluss von Alexander Gottlieb Baumgarten (vgl. S. 43) auf Kant nach, wohingegen seiner Einschätzung nach die Bedeutung von Crusius in der Literatur bei weitem überschätzt worden ist. Der moralphilosophische Ansatz von Baumgarten ist vor allem auch deshalb für Kant so wichtig, weil dieser Ansatz am Begriff der Verbindlichkeit ausgerichtet ist (vgl. S. 50). Kant übernimmt von Baumgarten den von diesem bereits verbindlichkeitstheoretisch gedeuteten Terminus des Imperativs, nicht ohne jedoch darauf hinzuweisen, dass Baumgartens moralische Grundregeln tautologisch sind (vgl. S. 166 f.). Als weitere mögliche Quelle für Kants strengen Begriff der moralischen Verbindlichkeit verweist Schwaiger auch auf eine Abhandlung von Elie de Joucourts, die in David Fordyce´ Anfangsgründe der moralischen Weltweisheit (Zürich, 1757) erschien (vgl. S. 59 f.).

Die Ausdifferenzierung des Baumgartenschen Praxisbegriffs in Kants ´Bemerkungen´ in den Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen ist nach Schwaiger als eine genuin Kantische Leistung anzusehen, auf die Rousseau, wie einige Autoren meinten, keinen Einfluss gehabt hat. Die Inauguraldissertation von 1770 gibt schließlich Kants Gedanken einer Metaphysik der Sitten einen neuen Gehalt. Schwaiger vertritt gegenüber Josef Schmucker und Dieter Henrich die wohlbegründete These, dass Kants Ethik nicht schon um 1765 in ihren wesentlichen Grundzügen vorliegt. Erst nach der [End Page 443] "´platonischen Revolution´" (S. 25) von 1770 sind die Voraussetzungen für den Weg zur Grundlegung geschaffen, erst nach 1770 verwendet Kant beispielsweise den Terminus ´Imperativ´. Hätte Kant bereits in der Mitte der sechziger Jahre eine Metaphysik der Sitten publiziert, wäre der Anteil der empirischen Moral sicherlich sehr umfangreich gewesen (vgl. S. 80).

Auch die in Teil II vorgelegten Resultate sprechen für eine allmähliche Ausbildung der kritischen Ethik, die nicht geradlinig verlaufen ist. Die 1770er Jahre sind nach Schwaiger durch Kants Bemühen gekennzeichnet, die im Bereich der Logik gewonnene Unterscheidung zwischen problematischen, assertorischen und apodiktischen Urteilen auch auf praktische Sätze anzuwenden. Des weiteren findet sich erst in den siebziger Jahren, nach Kants Wende zur reinen Moralphilosophie, die Unterscheidung zwischen einem Dijudikations- und einem Exekutionsprinzip (vgl. S. 91 ff.).

Schwaigers Studie zeigt eindrucksvoll, dass quellengestützte begriffsgeschichtliche Untersuchungen für die Erforschung der Entwicklungsgeschichte der Kantischen praktischen Philosophie unverzichtbar sind. Aber sie scheint in dieser methodischen Einseitigkeit auch mit einigen Mängeln behaftet zu sein. Ich möchte drei Gründe für dieses Urteil nennen. Erstens wird nicht recht deutlich, dass die Kenntnisnahme der entwicklungsgeschichtlichen Aspekte für das philosophische Verständnis von Kants Einteilung der Imperative, so wie sie...

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